Hitzesommer beschert Deutschland mediterranen Weizen
Archivmeldung vom 28.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFür Dr. Klaus Münzing, Lebensmitteltechnologe an der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (BfEL) in Detmold, ist es eine Sensation: "Der Weizen weist in diesem Jahr Qualitätseigenschaften auf, wie wir sie noch nie in Deutschland gehabt haben", sagt der Getreidexperte. In Münzings Institut laufen die alljährlichen Erhebungen zur Qualität des deutschen Brotgetreides zusammen.
Zunächst hatte es nach einer schlechten Ernte ausgesehen. Der lange Winter warf
den Weizen in seiner Entwicklung zurück, der ungewöhnlich heiße und trockene
Juli zwang ihn zu einer Notreife - die Körner bildeten sich schneller als üblich
und reiften in kürzester Zeit ab. Regen kam erst, als ihn die Getreidebauern
nicht mehr brauchen konnten: Zur Erntezeit im August. Ein durch und durch
"verhageltes" Jahr also.
Was den Ertrag anging, behielten die
Marktbeobachter Recht. Mengenmäßig wurde nur unterdurchschnittlich viel Korn von
den Feldern geholt. Mit Spannung wartete man auf die Qualitätsanalysen des
Detmolder Forschungsinstituts, das zum Geschäftsbereich des
Bundeslandwirtschaftsministeriums gehört. Hier werden seit rund 40 Jahren
Getreideproben untersucht, die nach einem bestimmten statistischen Schlüssel aus
Betrieben des gesamten Bundesgebiets gezogen werden. Knapp 3.000 Proben würden
so alljährlich aufbereitet, wie Institutsleiter Dr. Meinolf Lindhauer erläutert.
In diesem Jahr maßen die Forscher einen durchweg hohen Gehalt an Rohprotein. Die
so genannten Sedimentationswerte - ein Maß für die Eiweißqualität, die über die
Backeigenschaften entscheidet - fielen allerdings relativ schlecht aus. Umso
überraschender war, dass sich die Teige in den anschließenden standardisierten
Backversuchen entgegen aller Erwartung gut verarbeiten und hervorragend
verbacken ließen. "Mit diesem Ergebnis hat niemand gerechnet", sagt
Münzing.
Der Wissenschaftler erinnerte sich an ein als "Hitzestress"
bezeichnetes Phänomen, dass aus manchen Mittelmeerländern, aber auch aus den USA
und Australien beschrieben wird. Bei der Bildung des Korns wird zunächst Protein
eingelagert und dann in der Kornfüllungsphase vermehrt Stärke gebildet. Verkürzt
sich die Reifezeit aufgrund hoher Temperaturen, bleibt der Pflanze weniger Zeit
für die Stärkeproduktion - die Körner sind kleiner und weisen prozentual mehr
Eiweiß auf. Genauso war es dieses Jahr in Deutschland. Doch warum ist das Mehl
der diesjährigen Ernte so überraschend gut zu verarbeiten? Die Detmolder
Wissenschaftler führen das auf eine veränderte Eiweißzusammensetzung zurück. Das
für die Backfähigkeit verantwortliche Weizeneiweiß, auch Gluten genannt, setzt
sich aus zwei Fraktionen zusammen: Dem Gliadin, das bei der Verarbeitung für
einen weichen Teig sorgt, und dem Glutenin, welches die Festigkeit bewirkt.
"Gerät der Weizen unter Hitzestress, so wird mehr Gliadin als Glutenin gebildet.
Auf diese Weise verbessern sich die Verarbeitungseigenschaften", vermutet
Münzing. Er spricht von einer "mediterranen Verschiebung" der Weizenqualität,
die in diesem Jahr zum ersten Mal so aufgetreten sei. Auch die Stärkestruktur
des diesjährigen Weizens sei anders als in Jahren mit "normaler"
Witterung.
Vor dem Hintergrund des prognostizierten Klimawandels kommt den Ergebnissen besondere Bedeutung zu. Ist doch nicht auszuschließen, dass sich Extremssommer wie 2006 künftig häufiger wiederholen. Umso wertvoller sind die über Jahrzehnte erarbeiteten Zeitreihen der Detmolder Einrichtung. "Nur weil wir mit unserem umfangreichen Datenmaterial vergleichen konnten, sind wir so schnell auf die außergewöhnlichen Ergebnisse aufmerksam geworden", betont Institutsleiter Lindhauer. Neben dem zuständigen Ministerium und Einrichtungen der Bundesländer sind besonders Mühlenbetriebe und das weiterverarbeitende Handwerk auf die Daten der Detmolder Forscher angewiesen. Vor allem aber profitieren die Verbraucherinnen und Verbraucher von den alljährlichen Analysen der BfEL, die dazu beitragen, dass Brot und Backwaren von gleichbleibend hoher Qualität gefertigt werden können. "Dabei müssen wir unsere Methoden zur Beschreibung der Erntequalität stets weiterentwickeln", ist Münzing überzeugt. "Allein die diesjährigen Ergebnisse zeigen, dass eine Qualitätsbewertung nur auf Basis des Proteingehalts und des Sedimentationswertes nicht ausreicht."
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.