Direkt zum Inhalt Direkt zur Navigation
Sie sind hier: Startseite Nachrichten Ernährung Warum niemand weiß, was wir wirklich essen

Warum niemand weiß, was wir wirklich essen

Archivmeldung vom 15.08.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.08.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Tütensuppen, Fertigpizzen, Mikrowellengerichte: Täglich kommen in Deutschland Mahlzeiten auf den Tisch, von denen nicht einmal der Hersteller weiß, was genau in ihnen steckt. Verbraucher haben erst recht keine Chance, sich präzise zu informieren.

Hefeextrakt, Trockenmilcherzeugnis, Mononatriumglutamat, E 621 - hinter allem verbirgt sich im Prinzip das Gleiche: ein Geschmacksverstärker. Das Wundermittel moderner Food-Designer, das auch dünnen Brühen Würze verleiht, ist seit langem umstritten. Für eine Überdosis Glutamat gibt es sogar ein eigenes Wort: das China-Restaurant-Syndrom. Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und Übelkeit gehören zu den Symptomen. Für Schlagzeilen sorgten jüngst auch die sogenannten Azofarbstoffe, mit denen vor allem Süßigkeiten, Eis und Getränke gefärbt werden. Eine Studie der britischen University of Southampton hat im November 2007 im Fachblatt "The Lancet" einen Zusammenhang zwischen den von der EU geprüften Lebensmittelfarben E 102, E 104, E 110, E 122, E 124 und E 129 und Hyperaktivität bei Kindern nahegelegt.

Den meisten Menschen machen solche Substanzen im Essen nichts aus – dafür ist die Dosis viel zu gering. Doch diejenigen, die auf die kleinen Mengen in Supermarktprodukten empfindlich reagieren, haben kaum eine Chance, sie zu vermeiden. Im Fall der Azofarbstoffe verabschiedete das Europaparlament zwar Anfang Juli ein Gesetz, wonach Produkte mit den künstlichen Farben nun mit einem Warnhinweis ausgezeichnet werden müssen. Doch vielfach sind die Zutatenlisten auf den Verpackungen deutscher Lebensmittel weiterhin unvollständig und verwirrend.

So müssen in einem Himbeer- oder Pfirsichjoghurt mit - laut Verpackung - "natürlichem Aroma" noch längst keine Himbeeren oder Pfirsiche stecken. Die wären für einen 39-Cent-Becher auch viel zu teuer. Die Industrie behilft sich deshalb mit Zedernholz und Pilzkulturen. Bäcker nehmen den Stoff E 262, um Brot haltbar zu machen. Dabei handelt es sich um Natriumdiacetat, ein Salz der Essigsäure. "Da der Deutsche aber ein Brot ohne Konservierungsmittel will, hat der Gesetzgeber gesagt: 'Kein Problem, wir ernennen das Natriumdiacetat zum Säurungsmittel'", sagt der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, Mitbegründer des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften.

"Ganz bewusst so trickreich gemacht"

Will man die Zutatenlisten auf abgepackten Lebensmitteln durchschauen, wird es schnell kompliziert. Denn viele zugesetzte Stoffe gelten rein rechtlich als Nichtzutaten. Dieses merkwürdige Wort aus dem juristischen Sprachschatz erlaubt es dem Hersteller, einen Teil der Inhaltsstoffe zu verschweigen."Das ist ganz bewusst so trickreich gemacht", sagt Pollmer. "In einer Tütensuppe steckt so viel Know-how wie im Motor von einem Sportwagen."

Per Gesetz gilt: Deklariert muss nur werden, was in der Nahrung eine Aufgabe erfüllt. So muss der Emulgator Carrageen, dank dem sich Fett und Wasser in einem Becher Sahne mischen lassen, auf der Verpackung angegeben werden. Wird die Sahne aber zu Rahmspinat verarbeitet, hat das Carrageen seine Funktion verloren und taucht auf keiner Zutatenliste mehr auf.

Beispiele für Nichtzutaten gibt es zuhauf: So bleiben etwa die Rieselhilfsstoffe im Salz auf Chips-Tüten unerwähnt, und auf der Kuchenschachtel ist keine Rede von den Konservierungsmitteln in der Fruchtmischung. "Das würde den Verbraucher verwirren", lautet der lapidare Kommentar von Brigitte Grothe vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Ausgenommen sind 14 Allergene, die in jedem Fall gekennzeichnet werden müssen.

Auch die sogenannten technischen Hilfsstoffe tauchen nicht in der Zutatenliste auf. Ein Beispiel dafür sind Schaumverhüter, die etwa beim Blanchieren von Tiefkühlerbsen eingesetzt werden. Solche Stoffe müssen laut Gesetz bis auf "technisch unvermeidbare Rückstände" aus dem Endprodukt entfernt werden. "Was nicht vermeidbar ist, kann aber ganz unterschiedlich interpretiert werden", warnt Lebensmittelchemiker Pollmer.

Der Verbraucher kann natürlich beim Produzenten genaue Angaben zu den Inhaltsstoffen einfordern. "Hoffen wir mal, dass er eine ehrliche Antwort erhält", sagt Grothe. Per Gesetz brauche man dies aber nicht zu regeln. Passe dem Kunden die Antwort des Herstellers nicht, könne er schließlich immer noch entscheiden, sein Produkt nicht zu kaufen.

Nachfragen ist allerdings nicht so einfach: Christine Brombach hat als ehemalige Projektleiterin der Nationalen Verzehrsstudie versucht, die genaue Zusammensetzung von verpackten Lebensmitteln herauszufinden - und stieß dabei auf Schwierigkeiten. Ihr Fazit: "Die Hersteller wissen oft selbst nicht, was die Ausgangsstoffe ihrer Produkte sind." Wenn eine Firma Weizen mahlt, die nächste das Mehl zu Pizzaböden verarbeitet und ein drittes Unternehmen daraus Tiefkühlpizzen macht, gehen viele Informationen auf dem Weg zum Endprodukt verloren. "Es ist extrem teuer und langwierig, das hinterher analytisch festzustellen", sagt Brombach.

"Gesundheitsrisiken schwer abzuschätzen"

Die zugelassenen Grenzwerte der Zusatzstoffe sind zwar sehr niedrig angesetzt. "Die Gesundheitsrisiken sind aber schwer abzuschätzen, denn viele Tests basieren ausschließlich auf Tierversuchen, deren Ergebnisse nicht notwendigerweise auf den Menschen übertragbar sind", sagt Thilo Bode von der Organisation Foodwatch. "Wir wissen nicht, was wir uns einhandeln."

Es sei zudem nicht hinnehmbar, dass der Verbraucher die Schädlichkeit von Substanzen im EU-Zulassungsverfahren nachweisen müsse - und nicht die Industrie deren Unschädlichkeit. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen stuft lediglich 151 von 316 E-Nummern als unbedenklich ein. Die restlichen Substanzen sind demnach mit Vorsicht oder besser gar nicht zu genießen.

Um die langfristige Verträglichkeit umstrittener Stoffe zu belegen, bräuchte man zwei große Bevölkerungsgruppen, von denen eine über lange Zeit hinweg zum Beispiel einen bestimmten Joghurt mit Geschmacksverstärker verzehrt, die andere den gleichen Joghurt ohne. "Das ist nicht machbar", sagt Irene Lukassowitz vom Bundesinstitut für Risikobewertung.

Schädlich oder nicht – manche Debatte könnte abgekürzt werden, wenn Konsumenten Produkte mit besonders vielen Beigaben boykottieren und die Industrie so dazu zwingen würden, sich auf ein Minimum an Feinchemikalien in der Nahrung zu beschränken. Viele Substanzen werden heute eingesetzt, um den Preis zu drücken oder das Produkt optisch attraktiver zu machen. Lukassowitz: "Es gibt nirgendwo ein Kriterium der Sinnhaftigkeit."

Quelle:spiegel.de

Videos
Daniel Mantey Bild: Hertwelle432
"MANTEY halb 8" deckt auf - Wer steuert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Mantey halb 8 - Logo des Sendeformates
"MANTEY halb 8": Enthüllungen zu Medienverantwortung und Turcks Überraschungen bei und Energiewende-Renditen!
Termine
Newsletter
Wollen Sie unsere Nachrichten täglich kompakt und kostenlos per Mail? Dann tragen Sie sich hier ein:
Schreiben Sie bitte seeweg in folgendes Feld um den Spam-Filter zu umgehen

Anzeige