Verhaltensökonom David Dreyer Lassen: "Was Google oder Facebook wissen, ist gefährlich invasiv"
Archivmeldung vom 17.09.2020
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Freigeschaltet durch André OttWas können Internetkonzerne mit Big Data über unser Verhalten lernen? Der Verhaltensökonom und Data Scientist David Dreyer Lassen zeigte bei seinem digitalen Talk für das Global Behavioral Economics Networks (GBEN), wie Big Data die Sozialwissenschaft verändert, welches Potenzial solche Anwendungen haben – und wo deren Grenzen liegen.
Kann man aus der Häufigkeit der Textnachrichten am Smartphone prognostizieren, wie ein Student bei einer Prüfung abschneidet? Und wie hängt das mit dem Verhalten in sozialen Netzwerken wie Facebook zusammen? David Dreyer Lassen, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kopenhagen und Gründungsdirektor des Center for Social Data Science (SODAS) beschäftig sich in seiner Forschung mit genau solchen Fragen. Er forscht seit vielen Jahren zu Big Data und den Auswirkungen der Digitalisierung auf das menschliche Verhalten. Beim digitalen Event des Global Behavioral Economics Networks (GBEN) zum Thema "Tracking. Tracing. Tagging. Big Data & who benefits from it" am 15. September 2020 gab er Einblicke in die Ergebnisse seiner Forschung (Zur Video-Aufzeichnung der Veranstaltung).
In einem Projekt etwa hatten rund 800 Studentinnen und Studenten über zwei Jahren hinweg Daten zu ihrem digitalen Verhalten für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt. Aus diesem Pool – im Übrigen weitaus anonymer als der Datenpool, aus dem Internet-Unternehmen wie Facebook schöpfen – konnten dann sowohl Bewegungsprofile erstellt werden als auch Korrelationen zwischen digitalem Verhalten und Prüfungserfolg. Studentinnen und Studenten, die in hoher Frequenz viele persönliche Nachrichten sendeten, schnitten meist schlechter ab – und die Empfänger der Nachrichten ebenso.
Was wissen Internetkonzerne über uns?
Wissen Digitalkonzerne also alles über uns? David Dreyer Lassen dazu: "Wir konnten mit Hilfe unserer Daten tatsächlich Prüfungsergebnisse prognostizieren. Doch als wir die Prognose auf Basis der Schulnoten aus der Vergangenheit wiederholten, waren die Ergebnisse genauer. Die digitalen Verhaltensdaten brachten in diesem Setting also keine bessere Qualität." Nachsatz: "Trotzdem ist es gefährlich invasiv, dass Google oder Facebook über so viele Verhaltensdaten verfügen."
So wichtig eine strenge Regulierung des Umgangs mit persönlichen digitalen Verhaltensdaten sei, sagt Dreyer Lassen, so groß ist auch deren Potenzial. So zeigte er etwa, wie mit Hilfe aggregierter und anonymisierter Bewegungsdaten einfach und schnell erfasst werden kann, wie sich Menschen in Städten bewegen, welche Verkehrsmittel sie dabei benutzen, und wie sich diese Muster bei bestimmten Ereignissen wie plötzlichem Regen systematisch verändern. Für den Forscher ist das die Basis für die Entwicklung effizienterer und nachhaltigerer Mobilitätsangebote.
Potenzial und Grenzen von Big Data
Im Anschluss an seinen Vortrag diskutierte Dreyer Lassen mit Jean-Robert Tyran, Verhaltensökonom und Vizerektor der Universität Wien, noch über die weitere Entwicklung der Forschung an der Schnittstelle von Big Data und menschlichem Verhalten. Das Fazit der beiden Wissenschaftler: Ja, das Fach bewege sich durch die Digitalisierung in Richtung einer Art datenbasierter Echtzeit-Sozialwissenschaft, doch deren Grenzen sind oft schnell erreicht. Man beobachte zwar viele Korrelationen, aber wenige Kausalitäten. Oder anders formuliert: Nicht alles, was nach einem Zusammenhang aussieht, hat auch tatsächlich miteinander zu tun. Und nicht immer liefern Big Data-Anwendungen bessere Antworten als analoge experimentelle Settings.
Quelle: Vienna Behavioral Economics Network (VBEN) (ots)