Mobiles Surfen im Internet ist patentgeschützt
Archivmeldung vom 02.08.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.08.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWer geschäftlich per Mobiltelefon und Laptop im Internet surft, verletzt geistiges Eigentum der Siemens AG.
Dies geht aus dem
Softwarepatent EP0836787 des Unternehmens hervor, das vom
Europäischen Patentamt (EPA) im Januar 2004 genehmigt wurde
(http://www.nosoftwarepatents-award.com/vote200607/patent4.de.html).
Die Patentschrift beschreibt Monopolansprüche für den Austausch von
Datenpaketen per Mobilfunknetz zwischen einem mobilen Client und
einem Server. Im Rahmen der Informationskampagne
nosoftwarepatents-award wählten fast 45 Prozent der Internet-Voter
das Siemens-Patent zum "Softwarepatent des Monats Juli". Es ist damit
nominiert für die im Herbst 2006 stattfindende Wahl des
"Softwarepatentes des Jahres 2006", die von 1&1, GMX, mySQL, Red Hat
und CAS unterstützt wird.
Die Patentschrift bezieht sich auf ein "Verfahren zur Übertragung
von Datenpaketen gemäß einem Paketdatendienst in einem für Sprach-
und Datenübertragung vorgesehenen zellularen Mobilfunknetz". Der
Hauptanspruch patentiert die gemeinsame Übertragung von
"Datenpaketen" und "Signalisierungsinformationen in einem
Datenprotokoll" zwischen einem mobilen Client ("Teilnehmerstation")
und einem Server ("gesonderter Dienstenetzknoten"). Damit sind die
Grundzüge der Netzwerkprotokolle beschrieben, die üblicherweise beim
mobilen Zugriff auf Internet-Dienste verwendet werden.
Siemens-Patent betrifft wachsenden Markt
Die patentierten Verfahren sind Grundlage für mobile Technologien
und Anwendungen, die auch in Deutschland verstärkt vermarktet werden.
Laut der ARD/ZDF-Online-Studie 2006 verfügen bereits 34 Prozent der
Onliner über die Möglichkeit, via Laptop und Handy ins Netz zu gehen.
Vom Siemens-Patent betroffen sind neben mobilem Internet-Surfen
mittels Laptop oder Pocket-PC auch die E-Mail-Kommunikation per
Mobiltelefon und der Transfer von Dateien über ein W-LAN.
Die Siemens AG hat den Organisatoren des nosoftwarepatents-award
mitgeteilt, dass sie zu einer Stellungnahme nicht bereit ist. Laut
Gauss-Statistik sind über 30 Prozent aller deutschen Software-Patente
im Besitz der Siemens AG. Wie in den vergangenen Jahren führte
Siemens auch im Jahr 2005 die deutsche Patentstatistik an. In Europa
lag Siemens im Jahr 2005 auf dem zweiten Platz. Siemens bezeichnet
selbst die eigene Patentabteilung als "eine der größten
Patent-Law-Firmen" der Welt, die bei Verletzungen ihrer Patente auch
"gerichtliche Auseinandersetzungen" nicht scheue, um Marktpositionen
zu sichern.
Patente dürfen Innovationen nicht behindern
Prof.Dr.N. Pohlmann, Spezialist für Internet und mobile Netze an
der FH-Gelsenkirchen, kommentiert das Patent: "Die Gefahr eines
solchen Softwarepatents liegt in der nicht gewährleisteten
Interoperabilität zwischen den beteiligten Kommunikationspartnern.
Interoperabilität von Kommunikationssystemen ist in modernen
Informationsgesellschaften unverzichtbar für wirtschaftliches
Wachstum. Ohne eine Übertragung von Datenpaketen über zellulare
Mobilfunknetze würden wir als Wissens- und Informationsgesellschaft
in die Steinzeit zurückkehren müssen, was wir unter allen Umständen
verhindern sollten."
Einschränkung des Wettbewerbs gefürchtet
Mögliche Folgen im Falle einer rechtlichen Durchsetzung des
Patentes EP0836787 kommentiert Achim Weiss, Vorstand Technik der 1&1
Internet AG und dort zuständig für die Software-Entwicklung: "Wird
das Softwarepatent EP0836787 von Siemens rechtlich wirksam, wären
viele elementare Internet-Dienste und das Laden von Daten per
Mobilfunkverbindung betroffen. Der Wettbewerb bei diesen
Dienstleistungen könnte behindert werden - mit gravierenden
wirtschaftlichen Folgen. Die Verbraucher würden am Ende die Zeche
zahlen durch höhere Preise."
Kampagnenmanager Harald Talarczyk weist darauf hin, wie das
Siemens-Patent rechtlich wirksam werden könnte: "Noch lassen sich
solche Softwarepatente in Europa nicht rechtlich durchsetzen. Das
kann sich aber schnell ändern, beispielsweise im Falle einer in
Europa zentralisierten Streitregelung bei Patentstreitigkeiten
(European Patent Litigation Agreement, EPLA), wie sie verstärkt bei
der Europäischen Kommission diskutiert wird."
Die hohe Zahl von Softwarepatenten, die das Europäische Patentamt
der Siemens AG erteilt hat, ist für den Patent-Experten Florian
Müller nicht Ausdruck hoher Innovationsfähigkeit: "Man muss sich
fragen, ob Siemens nicht drauf und dran ist, zu einem der größten
Patent-Trolle der Welt zu werden. Die tatsächliche Geräteproduktion
stößt man beispielsweise an BenQ ab, die Entwicklung wird nach Indien
verlagert und in Europa tut man sich in erster Linie mit Unmengen von
Softwarepatent-Anmeldungen hervor. Leider gibt es viel zu viele
Politiker, die so etwas dann mit Innovation und Wettbewerbsfähigkeit
verwechseln."
Die Kandidaten für die Wahl im August
Fünf neue Patente, deren Inhaber mit verschiedenen Preisen für
"hervorragende Innovationen" ausgezeichnet wurden, stehen im August
zur Wahl. Die neuen, vom Europäischen Patentamt (EPA) vergebenen
Kandidaten befassen sich mit dem Filtern von Internet-Inhalten,
MP3-Codierverfahren, Voice over IP, konfigurierbaren Eingabemasken
und Printing-on-Demand. Leser und Interessierte sind eingeladen zu
entscheiden, ob es sich um verdientermaßen erteilte Schutzrechte für
Erfindungen handelt, um daraufhin dem nach eigener Meinung
schädlichsten Softwarepatent ihre Stimmen zu geben.
Quelle: Pressemitteilung nosoftwarepatents-award