Mumie macht das Studieren leicht
Archivmeldung vom 26.05.2010
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEs ist das Jahr 2020: Studierende rufen die Vorlesung per Videostream gegen Abend vom Server der TU Berlin ab. Im Anschluss werden die Übungen online per Mausklick erledigt, der Tutor ist über eine Chat-Funktion erreichbar und hilft bei Problemen. Schnell noch die E-Mails gecheckt: Glück gehabt, die Anmeldung zum Remote Experiment zu gekoppelten Pendeln hat geklappt. Gegen 23 Uhr steuert der Studierende am heimischen Bildschirm ein reales Experiment ein paar Kilometer entfernt an der Uni. Science Fiction? Keineswegs.
Seit mehr als einem Jahrzehnt gehört die TU Berlin zu den deutschen Universitäten, an denen das elektronische Lernen und Lehren, kurz „E-Learning“ konsequent vorangetrieben wird. Eine kräftige Finanzspritze des Bundesforschungsministeriums in Höhe von 1,7 Millionen Euro half, die über die Fakultäten versprengten Aktivitäten unter dem Projektnamen „Nemesis - New Media Support & Infrastructure“ zu bündeln. Vier Fakultäten und drei zentrale Einrichtungen verschrieben sich zwischen 2005 und 2008 während des Projektes dem multimedialen Lernen, Lehren und Forschen.
14 000 Hörerinnen und Hörer sind an der TU Berlin pro Jahr in Mathematikkursen eingeschrieben, 11 500 von ihnen in Veranstaltungen für Nicht-Mathematiker – also für künftige Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker. „Für all diese Studiengänge ist die Mathematik das Nadelöhr beim Eintritt in die Universität“, sagt Mathematikprofessor Ruedi Seiler. Er leitet das Verbundprojekt „Mumie“, das aus einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in den Jahren 2000 bis 2004 finanzierten Kooperationsprojekt mit den Partnern TU München, RWTH Aachen und Universität Potsdam hervorging. Damit wurden bereits etwa 30.000 Studierende ausgebildet. Es verbessert die Mathematikausbildung für Ingenieure, weil so Mathematik zu jeder Tages- und Nachtzeit „entdeckend selbst erfahren werden kann“.
Inzwischen können TU-Studierende Übungen in „Computerorientierter Mathematik“ (CoMA) oder Linearer Algebra für Ingenieure online erledigen. Die Aufgaben sind individuell und werden zum großen Teil automatisch korrigiert – etwas, was ohne ein Computersystem nicht zu leisten wäre. Die Möglichkeit, sich online auf Prüfungen vorzubereiten, ist erfolgversprechend: So konnten in der „Computerorientierten Mathematik“ 86 Prozent der Studierenden (zuvor 63 Prozent) zur Prüfung zugelassen werden.
Die TU Berlin hat im Rahmen der führenden technischen Universitäten in Deutschland (TU9) die Initiative ergriffen, einen deutschlandweiten Mathematik-Brückenkurs einzurichten, der von Schülern und Schülerinnen, die sich auf die Universität vorbereiten, online bearbeitet werden kann. Dieser Kurs wird durch ein Mathematik-Call-Center unterstützt.
Um zu experimentieren, muss man nicht im Labor stehen
Doch nicht nur Formeln und Gleichungen können TU-Studierende am heimischen Rechner üben, im Rahmen der Nemesis-Förderung entstand am Institut für Festkörperphysik die „Remote Farm“. Über diese Internetplattform können Studierende reale Experimente fernsteuern. „Mit der Farm konnten wir bereits einen Engpass in unserem Projektlabor im Wintersemester 2009 entschärfen“, sagt Professor Christian Thomsen. Weiterer Vorteil: Gefährliche Experimente, etwa mit Laserstrahlen oder Radioaktivität, sind weitaus sicherer zu handhaben. Die Studierenden benötigen lediglich eine Mailadresse, um sich anzumelden und können dann unabhängig von Zeit und Ort experimentieren, etwa bei einer radioaktiven Probe das Abstandsgesetz und die Absorptionsrate bestimmen. „Theoretisch kann man heute alles über das Internet steuern. Es ist eine Frage des Geldes, entsprechende Technik zu installieren“, sagt der Physiker. Die „Remote Farm“ ist außerdem an der Library of Labs (LiLa) beteiligt, einem EU-Verbundprojekt, das seit 2009 zwei Jahre lang von der Europäischen Union mit 240 000 Euro kofinanziert wird. Acht europäische Universitäten und drei Unternehmen vernetzen „Remote Experiments“, also ferngesteuerte und virtuelle Labore in dem Projekt europaweit.
Quelle: Technische Universität Berlin