Vorratsdatenspeicherung: Politik resigniert im Kampf gegen Internet-Kriminalität und Terrorismus
Archivmeldung vom 23.01.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn einer gemeinsamen Erklärung gegenüber dem Bundesjustizministerium hat die Sicherheitsinitiative "no abuse in internet" (naiin) zusammen mit 25 Medien-, Anwalts- und Verbraucherverbänden die geplante Einführung einer Vorratsdatenspeicherung abgelehnt.
"Diese weitreichende Überwachungsmaßnahme ist in jeder Hinsicht eine Bankrotterklärung. Sie dokumentiert, dass die Politik mit den Problemen in den Neue Medien derart überfordert ist, dass sie sogar fundamentale Werte unserer Gesellschaft in Frage stellt", kritisiert naiin-Präsident Arthur Wetzel.
Die Kritik dürfte sitzen. Immerhin ist naiin die bis dato einzigste durch die Bundesregierung ausgezeichnete Initiative, die sich der aktiven Bekämpfung von Internet-Kriminalität verschrieben hat. Genau dieser soll der Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung dienlich sein. Er verpflichtet Telekommunikationsunternehmen ab Herbst 2007 dazu, Daten über die Kommunikation ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern, ohne dass ein konkreter Tatverdacht vorliegt.
Vorgeblich zur verbesserten Strafverfolgung soll nachvollziehbar werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Ab spätestens 2009 soll zudem die Internet-Nutzung protokolliert werden. Betroffen von der Maßnahme sind alle Bundesbürger, die auf Kommunikationsmittel wie Telefon, Handy oder Internet zurückgreifen. Deren soziale und geschäftliche Beziehungen, Bewegungen und individuelle Lebenssituationen sollen künftig erfasst werden. Damit werden Anwalts-, Arzt-, Seelsorge-, und andere Berufsgeheimnisse de facto abgeschafft. Darüber hinaus müssen Journalisten künftig um den Schutz ihrer Quellen fürchten.
"Dass eine verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung ermittlungstaktisch unklug ist, dürfte jedem bewusst sein, der sich mit dem Thema Internet-Kriminalität befasst. Straftäter, die unter Dauerbeobachtung stehen, lassen keinesfalls von ihren Handlungen ab, sondern passen sich an und agieren vorsichtiger", erläutert Dennis Grabowski, Geschäftsführer bei naiin. Cyber-Kriminelle ergreifen bereits heute Maßnahmen, mit der sie ohne weiteres derartige Überwachungsmaßnahmen umgehen können. naiin rechnet damit, dass sich auch die "kleinen Fische" unter den Online-Straftätern mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung weiter abschotten werden, um das Entdeckungsrisiko zu minimieren. "Abgesehen von wenigen Einzelfällen, wird die Datenspeicherung die Strafverfolgung erschweren. Darüber hinaus verletzt sie essentielle Bürgerrechte und verkehrt die Unschuldsvermutung ins Gegenteil", so Grabowski.
Rechtsexperten erwarten inzwischen, dass das Bundesverfassungsgericht das Millionen Euro teure Vorhaben kippen wird. Zuletzt hatte sich Karlsruhe in seiner Rasterfahndung-Entscheidung gegen eine "globale und pauschale Überwachung" von Fernmeldebeziehungen gewandt. Es sei zweifelhaft, "dass dem Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung gelingen wird", heißt es auch in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. Die Gutachter sehen vor allem Unvereinbarkeiten mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Telekommunikationsgeheimnis.
"Einerseits sind wir froh, dass sich die Politik dem Thema Internet-Kriminalität endlich annimmt. Anderseits sind wir erschüttert über die unverhältnismäßige und unqualifizierte Herangehensweise", erklärt Arthur Wetzel. Die Kriminalität im weltweiten Datennetz sei nicht mit Verzweiflungstaten in den Griff zu bekommen. Immerhin belege nicht zuletzt die Arbeit von naiin, dass den dunklen Machenschaften im Internet auch mit anderen Maßnahmen begegnet werden könne. "Es kann doch der Sache unmöglich dienlich sein, die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen", empört sich der naiin-Vorsitzende, dessen Initiative im vergangenen Jahr schätzungsweise 62.000 Hinweisen auf Online-Straftaten nachging.
In seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Vorratsdatenspeicherung wird naiin unter anderem vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), dem Deutschen Presserat und der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) bekräftigt.
Die gemeinsamen Erklärung der Verbände finden Sie unter http://www.naiin.org/de/content/presse/anlagen/gem_erklaerung_vds220107.pdf.
Quelle: Pressemitteilung naiin - no abuse in internet e.V.