WAZ: SPD und Unternehmenssteuer: Logik gegen Leidenschaft
Archivmeldung vom 15.03.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFür Peer Steinbrück ist die marktwirtschaftliche Logik bezwingend: Wenn die Unternehmenssteuern gesenkt werden, kommt es in den ersten Jahren zu Steuerausfällen. Danach versteuern die Firmen ihre Gewinne nicht mehr im Ausland, sondern in Deutschland, und der Staat nimmt mehr ein.
In der SPD aber trifft
marktwirtschaftliche Logik hart auf sozialdemokratische Leidenschaft,
die so funktioniert: Den Bürgern wird über erhöhte Mehrwertsteuer,
gekürzte Pendlerpauschale oder Rente mit 67 etwas weggenommen, für
Krippenplätze fehlt Geld, und den reichen Unternehmen wird es
nachgeworfen.
Vielleicht hat Gerhard Schröder seinem Reformplan bloß deshalb
den Namen Agenda 2010 verpasst, weil er den Blick seiner Partei über
den Tag hinaus lenken wollte. Gelungen ist ihm das nicht, denn die
Umfragen werden nicht erst 2010 veranstaltet, sondern in der
Gegenwart. Bedeutsamer noch ist der Umstand, dass Realpolitik - das
haben auch die Grünen erlebt - höchstwahrscheinlich nur im
unmittelbaren Regierungsgeschäft gelernt werden kann.
Fast alle Sozialdemokraten im Kabinett der Großen Koalition darf
man als kompetente Realpolitiker einschätzen. Aber sie bilden nur
eine kleine Gruppe, die über das Geheimwissen "Regierungspolitik"
verfügt. Weite Teile der Basis und der Fraktion sehnen sich nach der
einfachen, identitätsstiftenden Oppositionspolitik der Vergangenheit
vor Rot-Grün zurück.
Seit Schröders Agenda hat die SPD ein massives Problem mit der
Kommunikation. Fraktionschef Peter Struck kann seinen Abgeordneten
noch hundertmal einbläuen, dass sie doch die Führungskräfte der
Partei seien, die der Basis die Regierungspolitik erklären müssten.
Aber zunehmend viele lassen sich von der Basis verhauen,
entschuldigen sich und schleichen zurück ins Parlament, wo ihnen die
nächste Kröte aufgetischt wird, die sie herunterwürgen sollen. Der
Graben, der die Parteispitze von der Basis trennt, verläuft quer
durch die Fraktion.
Es wirkt ein wenig paradox, aber bei allen Anstrengungen über den Tag hinaus sind die führenden Sozialdemokraten derart im Tagesgeschäft verhaftet, dass sie offenbar vergessen haben, wie emotional ihre SPD eigentlich ist. Wie idealistisch und illusionsverliebt, wie unpragmatisch und diskussionsfreudig diese Partei immerfort nach Sinn sucht. Gesellschaft, Familie und Umwelt sind wichtige Sinnthemen. Der Sinn aber, den die SPD anbietet, heißt immer noch Agenda 2010. (Basta.)
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung