WAZ: Kinderlärm ohne Grenzen
Archivmeldung vom 04.07.2009
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.07.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKinder sind laut, da lässt sich nichts schön reden. Zum Kindsein gehört das Lautsein. Sorgen muss man sich eher machen, wenn ein Kind verdächtig ruhig ist. "Es ist so still, was ist da los?" - die typische Elternfrage mit dem leichten Panik- flackern in der Stimme.
Wer Kinder will - und das wollen, zumindest in der Theorie, die meisten Deutschen -, der handelt sich Lebensgeräusche ein.
So weit, so einfach. Schwierig wird es, wenn aus der Theorie Praxis wird. Wenn nebenan ein Spielplatz oder eine Kita gebaut wird oder die fünfköpfige Familie in die Wohnung drüber einziehen will. Das liegt daran, dass man heute in Deutschland ein Leben führen kann, in dem Kinder nicht mehr auftauchen. Wer kleine Kinder weder in der Familie noch in der Freizeit erlebt, reagiert verständlicherweise empfindlich auf einen ganzen Spielplatz voller krähender Kleinkinder und Größerer, die lautstark Wikingerüberfall, Ponyhofpanik oder Autorennen spielen - und am Ende auch noch aus Familien kommen, wo es nur zwei Lautstärken gibt: Brüllen oder Schweigen. Aber auch die anderen wollen gerne mal ihre Ruhe haben.
Man glaubt es kaum, aber sogar Eltern sind froh, wenn sie auf dem Balkon sitzen können und nebenan ist gerade mal kein Kinderbrüllfest. Jetzt, da der Bundestag die Lärmschutzhürden für Kitas und Spielplätze kippen will und für die "natürlichen Geräusche" von Kindern ein besonderes Toleranzgebot der Gesellschaft anmahnt, muss man sich entscheiden. Entweder nickt man reflexartig in Richtung der kinderlosen Mitmenschen und schiebt noch nach: "Regt euch nicht so auf, ihr wart als Kinder genauso laut." Oder man wird ausnahmsweise selbst mal ganz still und hört sich um.
Denn mit den "natürlichen Geräuschen" ist das so eine Sache. Wer einmal zugehört hat, wie ein Kind einen ganzen Nachmittag lang mit dem Basketball Körbe werfen übt, oder wie sich ein Trupp Fünfjähriger in präpotentem Größenwahn angrölt, oder wie oben in der Wohnung ein Bobbycar sein Tagespensum von zehn Kilometern abnudelt, der hat auf einmal ein sehr enges Verständnis von "natürlich".
Bitte mal erinnern: Wenn das Baby schläft, sollen alle still sein. Und später? Wer ermahnt seinen Drittklässler, die Mittagsruhe einzuhalten? Oder vor sieben und nach zehn Uhr keinen Radau zu machen? Rücksichtsnahme ist eine Sache, die Eltern immer lauthals fordern. Oft vergessen sie aber darüber selbst das Rücksichtnehmen.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung