Leipziger Volkszeitung zum Platzeck-Rücktritt
Archivmeldung vom 11.04.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNicht erst seit dem Abgang Gerhard Schröders als Parteivorsitzender ist die SPD gelähmt von einem Selbstfindungsprozess, dessen Ziel am politischen Horizont noch nicht erkennbar ist. Die Mitglieder sind verunsichert über das kurslose Dahindümpeln zwischen linker, sozialistischer Renaissance und marktwirt- schaftlichen Reformversuchen. Gleichzeitig verschleißt die SPD ihre Vorsitzenden. Franz Müntefering wurde abgesägt von Rebellen in den eigenen Reihen.
Matthias Platzeck scheiterte so schnell wie keiner vor ihm am
überwiegend negativen Stress der Herkules-Aufgabe. Dass Platzeck der
Gesundheit Vorrang vor der Karriere gibt, die ihn trotz der rasant
aufgestapelten Frustrationen bis in den Chefsessel des Kanzleramtes
hätte führen können, verdient vorbehaltlosen Respekt. Auch wenn
Platzeck nun noch, gesundheitlich angeschlagen, brandenburgischer
Ministerpräsident bleiben will: Bundespolitisch wird er keine
nennenswerte Rolle mehr spielen. In der SPD zählt seine Stimme nicht
mehr, und sie war auch in den vergangenen Monaten nur schwach zu
hören.
Von Anfang an tat sich Platzeck mit den Herausforderungen des
Amtes schwer. Nur einmal, direkt nach seiner Wahl auf dem Parteitag
in Karlsruhe, konnte er die Partei mitreißen und aufrütteln. Danach
blieb er markante politische Akzente schuldig. Die Ansätze für ein
neues Parteiprogramm blieben matt und ideenlos. Viele in der SPD
verübeln Platzeck den Schmusekurs mit dem großen Koalitionspartner.
Während die Union in den Umfragen, getragen vom Kanzlerinnen-Bonus,
stieg, erreichte die SPD immer neue Tiefpunkte. Und das, obwohl sie
der Union inhaltlich sogar häufig den Stempel aufdrücken konnte.
Selbst Vorgänger Müntefering stichelte frontal gegen Platzeck: Es
reiche nicht aus, nett zu sein. Dem Parteivorsitzenden, der noch
nicht einmal seit einem Jahrzehnt SPD-Mitglied ist und kaum über den
- besonders von der West-Basis - geliebten Stallgeruch verfügt,
fehlte ein kernig-kantiges Profil. Sind Parteien - wie die SPD -
innerlich zerrissen, brauchen sie starke, Orientierung gebende
Führungspersönlichkeiten. Dafür war Platzeck der Falsche, nicht nur
zu freundlich, auch zu ehrlich über seine eigenen Schwächen. Das Amt
überforderte ihn nicht nur gesundheitlich, sondern auch inhaltlich
und konzeptionell.
Auf den pragmatischen, fast unideologischen "gelernten DDR-Bürger"
Platzeck folgt nun mit dem Rheinland-Pfälzer Kurt Beck ein
rustikaler, Volksnähe zelebrierender Sozialdemokrat traditioneller
Prägung. Der Seele der Partei kann das eine Weile gut tun. Für
Reformfreudigkeit und Modernisierung in Deutschland ist das jedoch
alles andere als Rückenwind. Die typischen Sozialmilieus der SPD
zerbröseln. Links lauert die umgetaufte SED/PDS/Linkspartei, in der
Mitte und Rechts die Union. Nur mit dem Landesvater-Charisma aber
kann Beck der Befreiungsschlag nicht gelingen.
Für Angela Merkel wird das Regieren nun schwerer. Platzeck war aus
Sicht der CDU-Chefköchin ein perfekter SPD-Kellner: Absolut loyal zur
großen Koalition. Zwei Ostdeutsche im weitgehend konfliktfreien,
sachorientierten Schulterschluss. Platzeck verzichtete darauf, sich
außerhalb der Regierung auf deren Kosten medial aufzupusten. Das
gefiel Merkel - und irritierte die eigene, ungeduldige SPD-Basis.
Beck sitzt in Mainz noch viel weiter von der Bundesregierung
entfernt als Platzeck im Berlin nahen Potsdam. Doch er wird ein
größeres Wörtchen mitreden wollen. Der fintenreiche Strippenzieher
Beck wird die Medienpräsenz des SPD-Vorsitzenden im Vergleich zum
unauffälligen Platzeck vervielfachen. Das macht Konflikte in der
Regierungskoalition, wo offene Streitigkeiten schon jetzt, nach
wenigen Monaten, nur mühsam unter dem Deckel gehalten werden können,
sehr viel wahrscheinlicher. Aber auch in der SPD wird Beck die
Gewichte wieder verschieben. Platzeck scheiterte auch an der
schwierigen Abstimmung zwischen ihm als Parteichef, dem eigenwilligen
Fraktionschef Struck und dem machtbewussten Vizekanzler Müntefering.
Beck wird die Zügel straffer ziehen. In welche Richtung, das bleibt
vorerst sein Geheimnis.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung