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Börsen-Zeitung: Das System wankt

Archivmeldung vom 30.09.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.09.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Apokalypse? Endzeit? Weltuntergang? Oder "nur" eine eskalierende Finanzkrise? Es fällt zunehmend schwer, das Geschehen in der deutschen und der internationalen Bankenwelt zum fairen Wert einzuordnen, ohne einerseits zu verharmlosen oder andererseits Panik zu schüren.

Von Tag zu Tag, mit jeder Drehung der Krisenspirale, werden die Superlative des Schreckens knapper. Binnen 24 Stunden muss eine Public Private Partnership von Steuerzahlern und Banken mit Liquiditätshilfen und Bürgschaften in der unbegreiflichen Höhe von 35 Mrd. Euro die Hypo Real Estate auffangen, werden die britische Hypothekenbank Bradford & Bingley voll und der belgisch-niederländische Allfinanzriese Fortis zur Hälfte verstaatlicht - Kleinkram wie die Übernahme der angeschlagenen US-Großbank Wachovia durch Citi oder die Rettung der isländischen Bank Glitnir mit öffentlichen Geldern ist da kaum der Rede wert: Gibt es noch ein Morgen? Und, falls ja, welche Katastrophe kommt als nächste?

Wer heute wesentlich jünger ist als 90 Jahre, 1931 und die Folgejahre in ihrer ökonomischen und politischen Bedeutung also noch nicht bewusst wahrgenommen hat, steht fassungslos vor den - subjektiv - historisch beispiellosen Entwicklungen, die er erlebt. Wer die Geschichte aber immerhin aus Büchern oder Erzählungen der Altvordern kennt, der ahnt, auf welch schmalem Grat wir uns bewegen und welche Verantwortung das für das Krisenmanagement der Politik, der Finanzaufsicht und der Banken selbst bedeutet. Denn - es hilft ja nichts, sich selbst und der Öffentlichkeit etwas vorzumachen - man ist geneigt, 1931 zu assoziieren: Liquiditätskrise der Danatbank, Run auf die Banken, Notregime für das Kreditgewerbe, Einlagengarantie der Reichsregierung, Stützung und weitgehende Verstaatlichung aller Großbanken, politische und wirtschaftliche Destabilisierung.

Eingreifen ohne Alternative

Natürlich gibt es enorme Unterschiede zwischen damals und heute, etwa in der Entstehungsgeschichte der Krise. Aber es gibt eben auch manch beängstigende Parallele. Insofern scheint das entschlossene Eingreifen der Regierungen wie jetzt in Deutschland, den Benelux-Staaten oder Großbritannien jedenfalls im Grunde alternativlos zu sein. Man sollte sich einmal vor Augen halten, dass die Hypo Real Estate zur Jahresmitte Kundenverbindlichkeiten von rund 26 Mrd. Euro in den Büchern hatte und was es für einen schon durch den Fall Lehman Brothers extrem strapazierten Einlagensicherungsfonds bedeutete, gäbe es im aktuellen Fall keine gemeinsame Stützungsaktion von Bund und Banken. Noch ist das Finanzsystem zwar nicht gefallen. Doch es wankt und droht die Realwirtschaft zu erschüttern.

Bleiben wir an dieser Stelle bei der Lage in Deutschland. Noch vor kurzem wähnte sich die Hypo Real Estate von der seit über einem Jahr grassierenden Finanzkrise angeblich so gut wie nicht betroffen und sah sich eher auf der Seite der Krisengewinner. Dreiste Lüge oder fatale Fehleinschätzung? Für die in Hauptverantwortung von Vorstandschef Georg Funke und vom Aufsichtsratsvorsitzenden Kurt Viermetz zu ziehenden Konsequenzen macht das keinen Unterschied: Sie müssen abtreten. Diese Bank und ihre Führung haben den Kredit verspielt - im doppelten Wortsinn.

Apokalypse genug

Doch es waren nicht nur mangelhafte Transparenz und miserable Kommunikation, die den Münchenern zum Verhängnis wurden. Die Hypo Real Estate hat sich im vorigen Jahr mit der mehr als 5 Mrd. Euro schweren Übernahme der einst ins Steuerparadies Irland geflüchteten Depfa Bank übernommen. Und die Verantwortlichen haben zugesehen, wie das Management des Staatsfinanzierers den dümmsten und spätestens seit Münemann, dem Erfinder der Methode "aus kurz mach lang", bekanntesten Fehler beging, den eine Bank begehen kann: langfristig Kredit vergeben und kurzfristig refinanzieren. Das geht so lange gut, wie die Zinskurve nicht invers und der Zugang zu Liquidität nicht verstopft ist. Offenbar hat nicht einmal der jüngst mit einem Viertel (zu 22,50 Euro je Aktie) bei der Hypo Real Estate eingestiegene Finanzinvestor J. Christopher Flowers, dessen Due Diligence doch stets als Gütesiegel der betroffenen Bank galt, gemerkt, was da lief.

Die Hypo Real Estate und ihre Führung sind formidabel gescheitert - in ebenso flagranter maßloser Selbstüberschätzung wie Fortis, die sich an den mitten in der Finanzkrise erworbenen Teilen von ABN Amro verhoben hat. Die Münchener werden das auch aus Sicht führender Banker so unverständliche wie unverzeihliche Fehlverhalten mit dem Verlust ihrer Existenz als Bank bezahlen: "Geordnete Abwicklung" (Peer Steinbrück) ist angesagt. Was sonst? Banken leben von Vertrauen. Doch wer sollte der Hypo Real Estate noch vertrauen? Zuerst wird man die Depfa eindampfen. Den verbleibenden Rest werden anschließend unweigerlich die Zweifel der Investoren und des sonstigen Publikums zerfressen. Das Mitleid hält sich in Grenzen. Umso mehr möchte man sich an die Hoffnung klammern, dass wir nicht noch viel tiefer fallen. Es reicht auch so längst an Apokalypse.

Quelle: Börsen-Zeitung (von Bernd Wittkowski)

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