FZ: Mit dem "Weiter so!" muss Schluss sein
Archivmeldung vom 25.09.2017
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Freigeschaltet durch André OttGuten Morgen in einem neuen Deutschland! Historische Zäsur, tektonische Verschiebungen, Denkzettelwahl. Starke Vokabeln sind notwendig, um das Ergebnis der Bundestagswahl zu umschreiben. Und sind noch zu schwach, um das wahre Dilemma zu artikulieren.
Ungeklärt nach diesem Wahlabend: Wie soll es weitergehen? Ist das Land nach der Absage der tief gesunkenen SPD an eine große Koalition unregierbar geworden? Ist Merkel, die in geradezu wahnwitziger Realitätsverleugnung am Abend davon sprach, ihre "strategischen Ziele" erreicht zu haben, mit dem schlechtesten Ergebnis der Union seit 1949 im Grunde nicht genauso abgewählt wie die SPD und müsste den Weg frei machen für einen anderen?
Fast beiläufig und so, als wäre es schon beschlossene Sache, sprachen die TV-Kommentatoren gestern von der Jamaika-Koalition unter (einer massiv abgestraften) Merkel als einziger Möglichkeit, eine Regierung zu bilden. Doch wie soll diese Koalition, in der viele miteinander unvereinbare Positionen aufeinanderprallen, das Land in die Zukunft führen? Die FDP hat üble Erfahrungen damit, was passiert, wenn ihr Programm in einer Koalition verwässert.
Christian Lindner wird die Fehler, die Guido Westerwelle zwischen 2009 und 2013 machte und die Liberalen den Wiedereinzug in den Bundestag kosteten, nicht noch einmal machen und auf die Verwirklichung zentraler liberaler Positionen pochen. Kaum anzunehmen, dass der FDP-Chef auf grüne Positionen zur Vermögenssteuer, zur Bürgerversicherung, zu Europa oder zum Aus für den Verbrennungsmotor bis 2030 einschwenken wird. Umgekehrt werden auch die Grünen nicht ihr Profil aufgeben, nur um mitzuregieren.
Der Einzug der AfD ins Parlament wird das Handeln einer sowieso schon fragilen Koalition nicht erleichtern. "Merkel jagen" kündigte der voraussichtliche künftige Fraktionschef Alexander Gauland bereits am Wahlabend als Parole an - und mit ihrem krawallig-provokanten Politikstil wird die AfD das Miteinander im Hohen Haus zweifellos verändern.
Dass künftig auch Rechtsradikale im Bundestag sitzen, bedeutet nichts Gutes für die parlamentarische Kultur, wird unsere Demokratie aber aushalten - und birgt sogar eine Chance: Jetzt muss die Partei endlich klären, wie sie mit rechtsextremem und hetzerischem Gedankengut in den eigenen Reihen umgeht und ob sie in der Lage ist, Sachpolitik zu betreiben. Sollte sie daran scheitern und sich selbst entzaubern, wird die AfD eine Episode in der Geschichte der Republik bleiben wie der Höhenflug der Republikaner in den 80er und 90er Jahren. Denn dann werden die mehr als eine Million CDU-Wähler, die gestern ihr Kreuzchen bei der AfD machten, schnell wieder weg sein.
Wundern indes muss sich über den Einzug der AfD ins Parlament und die Ohrfeige des Wählers für die ehemaligen Volksparteien niemand. Die Analyse ist eindeutig: Das Ergebnis ist eine Folge davon, was passiert, wenn Politiker sich von denen, die sie gewählt haben, entfremden und an deren Ängsten, Nöten und Bedürfnissen vorbeiregieren. 60 Prozent der AfD-Wähler gaben gestern an, die Partei nur aus Enttäuschung über das Versagen der anderen Parteien gewählt zu haben - obwohl es dem Land wirtschaftlich gut geht. Das große Thema war für viele die Flüchtlingskrise oder wie CSU-Chef Seehofer es ausdrückte: Die "rechte Flanke wurde offengelassen." Doch auch auf vielen anderen Feldern wie der Euro-Politik wurde den etablierten Parteien die Lösung drängender Probleme nicht mehr zugetraut.
Insofern muss das Ergebnis allen Parteien Mahnung sein. Ein "Weiter so!", das die Kanzlerin im Wahlkampf propagierte, darf es nach diesem Abend nicht geben. Es muss Schluss sein mit der Politik der "ruhigen Hand", mit Kreativlosigkeit und dem Herumdrucksen um durchgreifende Reformen. Dass Merkel dafür die Richtige ist, muss bezweifelt werden. Die Frage ist nur: Wer stünde bereit, um zu übernehmen?
Quelle: Fuldaer Zeitung / Bernd Loskant (ots)