Zweckoptimismus
Archivmeldung vom 24.07.2020
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Freigeschaltet durch André OttNach den tiefroten Zahlen fürs zweite Quartal übt sich Ola Källenius in Zweckoptimismus. Mit Blick auf die relativ soliden Konjunkturdaten aus China hofft der Vorstandschef von Daimler, dass das Tief infolge der Corona-Pandemie überwunden ist. Wie seine Amtskollegen Oliver Zipse von BMW und Herbert Diess von Volkswagen setzt der Schwede auf eine rasche Erholung im asiatischen Riesenreich mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern.
Källenius stützt sich dabei auf die jüngsten verheißungsvollen Pkw-Absatzzahlen im größten Automarkt der Welt, die eine Wende zum Besseren versprechen nach dem faktischen Stillstand von Mitte März bis Ende Mai, als zahlreiche Werke ihre Produktion wegen der Seuche einstellen mussten.
Der Hoffnungsschimmer für die deutschen Autohersteller am anderen Ende der Welt macht deutlich, wie abhängig ihre Geschäftsmodelle von den kommunistischen Machthabern in Peking, die auf eine Art planwirtschaftlichen Staatskapitalismus setzen, sind. Stottert der Wachstumsmotor China, kommen die Topmanager in Stuttgart, München und Wolfsburg ins Schwitzen. Angesichts dieser Lage ist es nachvollziehbar, wenn sich Källenius & Co. mit öffentlicher Kritik an den Herrschern in Chinas Kapitale bedeckt halten: Ob es um Menschenrechte geht oder um das heikle Thema Hongkong, für die hiesige Autoindustrie gilt: business as usual.
Trotz verbesserter Aussichten ist die nach außen getragene Zuversicht des Daimler-Lenkers doch recht trügerisch. In den anderen beiden Kernmärkten Europa und USA läuft das Geschäft nach wie vor schlecht. Eine mögliche zweite Viruswelle im Herbst könnte die aufgehellte Stimmung rasch wieder eintrüben - vor allem an den Börsen, wo die Anleger derzeit jede Nachricht, die mit ihrer Erwartung übereinstimmt, dass ein Überwinden der Coronakrise alsbald gelingt, beherzt aufgreifen. In diesem Umfeld kommen ihnen die Daimler-Quartalszahlen gelegen, obwohl diese in "normalen" Zeiten womöglich einen Kurssturz ausgelöst hätten. Stattdessen führte die Aktie am Donnerstag mit einem Plus von über 4% den Dax an.
In dieser (übertriebenen) Euphorie an den Märkten wird die Warnung von Finanzvorstand Harald Wilhelm ausgeblendet, dass Mehrkosten in Milliardenhöhe wegen Rechtsstreitigkeiten in Sachen Dieselabgasmanipulationen und aufgrund der geplanten Einschnitte (inklusive Personalabbau) das Betriebsergebnis zum Jahresschluss verhageln könnten. Das zeigt, dass Daimler nach dem Horrorjahr 2019 noch lange nicht über den Berg ist.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Stefan Kroneck