Westdeutsche Allgemeine Zeitung: Waffenstillstand ist noch kein Frieden - Kommentar von Ulrich Reitz
Archivmeldung vom 24.08.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlDie Entwaffnung der Hisbollah, die Stärkung und Stabilisierung des Libanon, die Verringerung des syrischen Einflusses im Zedernstaat, vor allem aber: den fundamentalistischen Iran aus der Region zu verdrängen - das alles liegt fundamental im europäischen Interesse. Umso ärgerlicher ist das Hin und Her, die Taktiererei der Europäer im Hinblick auf einen militärischen Einsatz in der Region.
Schon sehen sich die Amerikaner einmal mehr in ihrer Einschätzung
bestätigt, wonach es die Europäer ohne US-Hilfe einfach zu wenig bis
nichts bringen. "Immer wieder lernen wir, dass Europa ohne
amerikanische Führung ausschließlich ein Touristenziel ist",
kommentierte hämisch die einflussreiche und gut informierte
"Washington Post".
Nun ist es nicht entscheidend, was die Amerikaner über die Europäer denken. Entscheidend ist aber wohl, dass die Europäer endlich, salopp gesagt, in die Gänge kommen. Erst ist Italien bereit, 3000 Soldaten zu schicken und die Führung der Operation zu übernehmen, dann schiebt Rom Bedenken hinterher, die das ganze italienische Engagement wieder infrage stellen. Frankreich bietet beschämende 200 Mann. Berlin will auf dem Meer patrouillieren, lehnt es aber ab, die libanesisch-syrische Grenze gegen Waffen-Nachschub für die Hisbollah zu sichern. Ohnehin hätte man sich von der deutschen Regierung mehr Courage erwarten können, nachdem Israel Deutschland zu dieser Mission sozusagen eingeladen und damit in einem einmaligen Akt historische Einwände beiseite geräumt hat.
Im Moment ist von Waffenstillstand die Rede. Das ist zu zaghaft.
Nötig wäre es, konkret auf einen Frieden hinzuarbeiten. Und das
heißt: Libanon braucht rund fünf Milliarden Dollar. Um die
Infrastruktur wieder aufzubauen und, mindestens ebenso wichtig, den
Familien wieder ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Längst ist der
Stellvertreterkrieg mit dem Iran in seine nächste Phase eingetreten,
schon gibt es einen Wettlauf zwischen dem Libanon und der westlichen
Staatengemeinschaft auf der einen, der Hisbollah und somit dem Iran
auf der anderen Seite, wer es ist, der den Menschen am Ende ein
würdiges Leben ermöglicht. Es heißt, der Iran zahlt über die
Hisbollah jeder Familie, deren Haus zerstört wurde, 10 000 Dollar.
Das dürfte am Ende die eigentliche zivile Herausforderung sein. Mit
saudischer, amerikanischer, europäischer Hilfe, etwa auch mit
großzügigen Krediten für libanesische Investoren, muss dem Libanon
ermöglicht werden, dieses mörderische Rennen für sich zu entscheiden.
Ohne Waffen kein Waffenstillstand. Aber nur mit Waffen auch kein
Frieden.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung