Mittelbayerische Zeitung: Die Grenzen der Freiheit
Archivmeldung vom 16.02.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs ist schon erstaunlich, wie überrascht sich die EU vom Flüchtlingsansturm auf Lampedusa zeigt. Denn eigentlich kennt man die Szenen, die sich derzeit auf der Mittelmeerinsel abspielen, nur zur Genüge. Schließlich sind in den vergangenen Jahren dort viele tausende Flüchtlinge angekommen. Und jetzt muss die EU wieder einmal auf ein Problem reagieren, von dem sie dachte sie hätte es im Griff.
Aber das Gegenteil ist der Fall - tatsächlich hat die Gemeinschaft nichts aus den bisherigen Erfahrungen gelernt. Der Ansturm auf Lampedusa zeigt, dass es noch immer keine gemeinsame Asylpolitik gibt. Europa hat ein Glaubwürdigkeitsproblem: Eben jubelte man noch über den Freiheitswunsch der Tunesier und Ägypter. Doch jetzt, wo die Nordafrikaner in Scharen nach Europa drängen, überlegt die EU angestrengt, wie sie den Freiheitsdrang wieder kanalisieren kann. Die ganze Angelegenheit entlarvt, wie sehr man bei der Sicherung der Grenzen auf Diktatoren baut. Ob Ben Ali in Tunesien oder Gaddafi in Libyen: Dass die Autokraten für die Abschottung der Gemeinschaftsaußengrenzen verantwortlich waren bzw. sind, zehrt an der Glaubwürdigkeit der Wertegemeinschaft. Dies gilt auch für die nicht existente gemeinsame Asylpolitik. Während Länder wie Italien, Malta oder Griechenland immer wieder von einer illegalen Einwandererwelle überschwemmt werden, sind die übrigen Länder aus dem Schneider. Denn nach wie vor ist in der EU der jeweilige Einreisestaat für ein Asylverfahren zuständig. Dass sich die zunehmende Belastung in den Außenstaaten auf die Qualität der Asylverfahren niederschlägt, ist unbestritten. Doch anstatt ein einheitliches Verfahren sowie ein faires Quotensystem zur Verteilung der Immigranten einzuführen, setzt die EU auf Frontex und die Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Diktatoren. Zynischer kann der Freiheitswunsch der Tunesier nicht beantwortet werden. Dahinter steckt, dass für die meisten europäischen Politiker Asylpolitik keine humanitäre Frage, sondern vielmehr ein Sicherheitsproblem darstellt. Zu dieser Mentalität beigetragen hat auch der von Frankreichs Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy initiierte Immigrations-Pakt. Mit dem 2008 verabschiedeten Paket haben sich die EU-Staaten zwar auf dem Papier eine Zuwanderungsstrategie verpasst. Doch in Wirklichkeit steckt dahinter nur eines: Die Abschiebung illegaler Einwanderer massiv auszuweiten und die legale Zuwanderung nach Europa zu erschweren. Es ist deshalb höchste Zeit, dass die EU neben einer gemeinsamen Asylpolitik auch ihre Politik zur Entwicklungshilfe überarbeitet. Einen ersten wichtigen Schritt hat EU-Außenministerin Catherine Ashton bereits getan. Sie will bei der Förderung des demokratischen Wandels in Nordafrika in die Vollen gehen. Das wird in erster Linie über Finanzhilfen angestrebt. Denn nur wenn sich die Länder nach dem Sturz der Regime wirtschaftlich aufrappeln, können die Menschen vor Ort für sich eine Perspektive sehen. Allein von Demokratie und freien Wahlen können sie sich nichts kaufen. Deshalb ist es gut, dass die Finanzmittel, die in diesem Jahr für Tunesien zur Verfügung stehen, aufgestockt werden sollen. 17 Millionen Euro konnte Ashton zusätzlich zusammenkratzen. Dass Italien zur Flüchtlingsabwehr 100 Millionen Euro aus Brüssel gefordert hat, zeigt wie die Prioritäten bisher gelagert sind. Europa muss nun rasch handeln - auch um zu verhindern, dass der Flüchtlingsansturm zur humanitären Katastrophe wird. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, wie ernst es die Gemeinschaft mit dem "arabischen Frühling" meint.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung