BERLINER MORGENPOST: Ein tiefer Einschnitt bei der Bundeswehr
Archivmeldung vom 12.06.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSicherheitspolitik nach Kassenlage - das haben CDU und CSU in ihren Oppositionsjahren der SPD wieder und wieder vorgehalten. Bloß nicht mehr dran denken. Jetzt ist die Union angesichts einer leeren Staatsschatulle und grundgesetzlicher Pflicht zum Sparen (Schuldenbremse) ihrerseits sogar bereit, die Wehrpflicht in Deutschland zum verteidigungspolitischen Auslaufmodell zu erklären.
Die hat seit 1956 zwei entscheidende Entwicklungen befördert: die Verankerung der Streitkräfte innerhalb der Gesellschaft und militärische Qualität durch die vielfältige berufliche Ausbildung der Rekruten, die sich die Streitkräfte nutzbar machen. Sie auszusetzen und damit praktisch abzuschaffen, bedeutet die bislang einschneidendste Veränderung der Bundeswehr. Aus den Streitkräften der Söhne des Landes wird eine Berufsarmee. Der Wandel ist angesichts der politischen Vorgaben der schwarz-gelben Koalition und des grundlegend veränderten Auftrags der Bundeswehr von der Landesverteidigung zur internatonalen Einsatztruppe konsequent. Die Wehrpflicht war lange richtig. Jetzt ist sie überholt, nicht länger überzeugend zu verteidigen. Wenn die Koalition die gestern im Bundestag debattierte Verkürzung der Wehrpflicht auf nur noch sechs Monate beschließt, außerdem in der Sparklausur den Verteidigungsminister zur personellen Abrüstung von 40.000 Soldaten und zur Einsparung von insgesamt vier Milliarden Euro verurteilt, bereitet sie gewollt oder ungewollt das Ende der Wehrpflicht vor. Das Sechs-Monate-Gesetz ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wird. Karl-Theodor zu Guttenberg hat die Lage richtig analysiert. Und ist zum Tabubruch bereit. Nichts anderes ist die Abschaffung der Wehrpflicht für die Union. Der Minister macht aus der Not eine Tugend, indem er die Strukturen der Bundeswehr den Realitäten anpasst. In sechs Monaten sind junge Männer militärisch sinnvoll nicht mehr auszubilden. Zu Auslandseinsätzen werden sie ohnehin nicht abkommandiert. Gleichzeitig aber binden sie Zeit- und Berufssoldaten, die ihnen minimale militärische Grundkenntnisse vermitteln. Diese Profis fehlen dann für internationale Aufgaben. Angesichts der ohnehin dünnen Personaldecke der "Volltruppe" und der Personalreduzierung um 40.000 Zeit- und Berufssoldaten würde die weitere Ausbildung von Wehrpflichtigen die Bundeswehr in ihrer Einsatzkapazität weiter schwächen. Da verliert auch das Argument Gewicht, viele Wehrpflichtige entdeckten erst beim Schnupperkurs ihr Interesse am Soldatenberuf und verpflichten sich freiwillig weiter. Wer A sagt, also hart sparen, der muss auch B sagen, Abschied von der Wehrpflicht und damit zugleich vom Zivildienst. Der Minister scheint den Mut zu diesem Paradigmenwechsel zu haben. Hoffentlich lässt die Kanzlerin nicht auch noch Guttenberg fallen, wenn "friendly fire" auf ihn zielt.
Quelle: BERLINER MORGENPOST