Leipziger Volkszeitung zu Gesetzesdschungel
Archivmeldung vom 18.12.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.12.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSchon Albert Schweitzer klagte: Es gibt auf der Welt über dreißig Millionen Gesetze, um die zehn Gebote durchzuführen. Nun will der oberste Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier das Land sicher nicht allein mit den Büchern Mose regiert sehen. Dennoch ist seine Kritik grundsätzlich: Deutschland ist überreglementiert, es wird eine symbolische Politik betrieben, viele Probleme ließen sich besser ohne komplizierten Paragrafendschungel lösen.
Zu Recht bezweifelt Papier, ob überhaupt noch die Sinnfrage gestellt
wird, ehe die Gesetzesmaschine anläuft. Denn diese produziert immer
öfter am Parlament vorbei. Der Kommissionitis-Virus, unter Rot-Grün
ausgebrochen, grassiert weiter. Der Eindruck drängt sich auf: Politik
wird zunehmend in Expertengruppen und Elefantenrunden gemacht. Die
Abgeordneten dürfen kurz vor knapp einen Blick auf das Vorhaben
werfen und es dann unter Zeit- und Fraktionsdruck beschließen. So
steigt der Frust und am nächsten Wahlsonntag wird das Klagelied auf
die geringe Beteiligung angestimmt.
Bestes Beispiel, wie man es besser nicht machen sollte, ist derzeit
das Mammutprojekt Gesundheitsreform. Im festen Glauben daran, dass
der Staat auch noch den letzten verschnupften Mitbürger irgendwie
staatlich versorgen muss, ist ein Reformdinosaurier entstanden, den
nur noch wenige detailiert kennen und entsprechend bewegen können.
Eigenvorsorge und Selbstverantwortung bleiben Fremdworte in einem
System, das auf eine zentralistische Staatsmedizin hinausläuft. Die
Zeche zahlen dafür am Ende alle: Die Patienten mit höheren
Kassenbeiträgen, die Ärzte mit weiter steigender Bürokratie und die
Heilmittelhersteller mit drohendem Jobkahlschlag. Im Bundesrat sind
rund einhundert Änderungsvorschläge anhängig. Die Reform der Reform
ist praktisch schon auf dem Weg. Merkwürdig nur, das die lautesten
Reformatoren zugleich auch Autoren der Eckpunktevereinbarung sind.
Ist etwa eine ansteckende Amnesie ausgebrochen? Vielleicht hilft
dagegen ja ein Anti-Vergesslichkeitsgesetz.
Auch wenn die Unzufriedenheit mit der Politik, der Kunst des
Machbaren, wächst - der Ausstoß immer neuer Gesetze und Verordnungen
funktioniert weiter zuverlässig wie am Fließband. Beispiele gefällig?
Deutschland stellt zwar nur zwei Prozent aller Steuerzahler weltweit.
Aber 70 Prozent aller Steuerliteratur erscheint auf Deutsch. Der
Bäcker muss inzwischen 220 Vorschriften und Gesetze beachten, bevor
er seinen Backofen anheizen kann. Und der Kesselbetreiber muss sich
allein bei der Unfallverhütungsvorschrift durch 43 technische Regeln
und 27 sonstige Vorschriften quälen. Natürlich will Brüssel da nicht
abseits stehen. Die letzte Woche verabschiedete
EU-Chemikalienrichtlinie für den Umgang mit 30000 Chemikalien soll in
einem 20000 Seiten starken Vorschriftenkatalog verankert sein. Alles
klar?
Der Staat verzettelt sich, stellt Verfassungsrichter Papier fest. Im
besten Fall könnte man den Gesetzesmachern vorbeugende Absicht
unterstellen. Denn schon Goethe mutmaßte: Wenn man alle Gesetze
studieren sollte, so hätte man gar keine Zeit, sie zu übertreten.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung