Neue OZ: Knallhart kalkuliert
Archivmeldung vom 28.01.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt140 Textzeichen sind nicht viel. Und dennoch können sie die Welt verändern. Das hat Twitter im arabischen Frühling bewiesen. Der Kurznachrichtendienst war Kommunikationsmittel der Revolution, das Flugblatt 2.0. Über das Internet demaskierten die Demonstranten für alle Welt sichtbar das blutige Treiben der Despoten. Mithilfe von Twitter verabredeten sich die Unterdrückten zum zivilen Ungehorsam. Das wird so nicht mehr möglich sein, wenn die angekündigten Selbstzensurbestrebungen umgesetzt werden.
Eine Welle der Entrüstung schwappt durchs Internet. Kein Wunder: Es drängt sich der Eindruck auf, bei Twitter handele es sich um Allgemeingut. Hinter dem Kurznachrichtendienst steckt aber, wie bei Google oder Facebook auch, ein knallhart kalkulierendes Unternehmen und kein Wohltätigkeitsverein. Weniger eine demokratische Mission als vielmehr die Gewinnmaximierung liegt im Interesse von Twitter. Und deswegen müssen neue Märkte erschlossen werden. Das größte Nutzerpotenzial liegt dort, wo Meinungsfreiheit unterdrückt wird. Etwa in China.
Die Zensurpläne sind somit vorauseilender Gehorsam mit dem Ziel, Grenzen zu öffnen. Schade, denn das Internet verliert wieder ein Stück seiner Unschuld. Aber dort, wo es um hohe Summen geht, ist kaum Platz für Ideale. Man könnte auch sagen: Das Netz wird wieder ein Stück erwachsener.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)