Rheinische Post: Chirac pokert hoch
Archivmeldung vom 01.04.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSeit 40 Jahren ist Jacques Chirac in der Politik. Er hat es stets vermieden, sich mit den Franzosen anzulegen. Bis gestern Abend: Da kündigte der Staatschef an, er werde das unpopuläre Gesetz über die Abschaffung des Kündigungsschutzes für Berufseinsteiger in Kraft setzen, gegen das seit Wochen Hunderttausende seiner Landsleute auf die Straße gehen.
Auch wenn er diese Entscheidung mit einigen
Zugeständnissen verbrämte, weiß Chirac sehr wohl, dass er Millionen
Franzosen vor den Kopf stößt.
Chiracs Motive sind vor allem machtpolitisch: Ein Jahr vor dem Ende
seiner Amtszeit konnte er es sich nicht leisten, einen Rückzieher zu
machen und damit seinen Regierungschef Dominique de Villepin zu
desavouieren. Denn ein möglicher Rücktritt des Premiers hätte
unweigerlich auch eine Debatte über vorgezogene Präsidentenwahlen
ausgelöst, eine Horror-Vorstellung für Chirac, der sich auf keinen
Fall vorzeitig aus dem Elysée-Palast jagen lassen möchte. Also setzt
er alles auf eine Karte, schiebt den Gewerkschaften mit gewissem
Geschick den Schwarzen Peter zu und spekuliert insgeheim auf ein
Abbröckeln der Protestfront. Geht Chiracs Kalkül auf, kann er sich
als mutiger Reformer präsentieren. Aber das Risiko ist hoch, dass das
Gegenteil eintritt.
Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post