Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Rechtsterrorismus
Archivmeldung vom 19.11.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAls ich als kleiner Junge Marken auf meine ersten selbstgeschrieben Briefe pappte, prangten sie über mir an der Glasscheibe: die Terroristen. Wie bei uns an der Ecke erinnerten die Ermittler in jedem Postamt daran, wie die aussehen, denen Morde und Anschläge angelastet werden. Deswegen hätte ich zwar nicht unbedingt Christian Klar auf der Straße erkannt; aber bundesweit bestand immenser Fahndungsdruck auf die linken Terroristen. Wie dagegen die Ende der neunziger Jahre abgetauchten mutmaßlichen rechten Bombenbauer Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aussahen, wusste vor Wochenfrist kaum jemand.
Fahndungsdruck Fehlanzeige. Noch sind viele Fragen zum NSU-Terror unbeantwortet, doch eines ist seit dem Ceska-Fund in Zwickau deutlich geworden: Die bei fremdenfeindlichen Straftaten oft bemühte Einzeltäter-Theorie, die These etwa, dass dieses Trio ganz auf sich allein gestellt mehr als ein Jahrzehnt im Untergrund überstand, ist nicht zu halten. Man muss wohl eher von mehreren Helfern, Helfershelfern und Mitwissern ausgehen. Wortklauberei, ob man das nun eine rechtsterroristische »Struktur« oder ein »Netzwerk« nennen darf, zeugt von dem verbreiteten Widerwillen, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und totalitäres Gedankengut als verbindenden Beweggrund für unterschiedliche Straftaten zu identifizieren. Man kann sich leider nicht sicher sein, dass jede politisch motivierte Gewalttat in Deutschland auch als solche in den Ermittlungsakten geführt wird. So wurden in den Jahren zwischen 1990 und 2009 laut der offiziellen Statistik 46 Tote durch rechtsextreme Straftaten registriert. Nach Recherchen von »Tagesspiegel« und »Zeit« starben in diesem Zeitraum jedoch mindestens 137 Menschen durch rechtsextreme Gewalt. Nach neuesten Zahlen der gegen Rechtsextremismus aktiven Amadeu-Antonio-Stiftung, benannt nach dem 1990 von Skinheads in Eberswalde umgebrachten 28-jährigen Angolaner Amadeu Antonio Kiowa, wurden im Zeitraum 1990 bis 2011 unter Einbeziehung der NSU-Opfer sogar 182 Menschen ermordet. Den Beamten der Nürnberger Sonderkommission mit dem bemerkenswerten Namen »Bosporus« muss man nun zugutehalten, dass auch sie auf die Idee kamen, nach einem rechtsextremistischen Hintergrund für die Morde zu suchen. Eine politisch brisante Frage ist es, warum dieser Impuls nicht zu verstärkten Ermittlungs- und Fahndungsbemühungen in der rechten Szene führte. Während der Staat also nach seinen Fehlern forscht, tun wir gut daran, uns emotional jenen zuzuwenden, die schuldlos ins Unglück gestürzt wurden - den Mordopfern, die über Jahre missachtet und durch Verdächtigungen in Misskredit gebracht wurden. Der Vorschlag des Bundespräsidenten Christian Wulff, ihre Angehörigen im Schloss Bellevue zu empfangen, ist da nur ein erster Schritt.
Quelle: Westfalen-Blatt (ots)