Südwest Presse: Kommentar zum Rücktritt Münteferings
Archivmeldung vom 14.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs ist privat wie politisch manches eingestürzt in den vergangenen Monaten auf Franz Müntefering. In der Summe offenbar zu viel selbst für einen so disziplinierten und pflichtbewussten Minister und Parteisoldaten, der seit mehr als drei Jahrzehnten zu den prägenden Persönlichkeiten der SPD gehört hat.
Wenn er sich nun
mit 67 früher als erwartet zurückzieht, verdient das Respekt und
keinen Vergleich mit Oskar Lafontaines Fahnenflucht 1999.
In der Konsequenz jedoch wird "Müntes" Abschied für die SPD wie für
die Berliner Koalition nicht geringere Verwerfungen auslösen als
damals Lafontaines Ausstieg. Der Vizekanzler personifiziert geradezu
einen Teil des Vorrats an Gemeinsamkeiten, aus dem sich die vom
Wähler herbeigeführte Zwangsehe zwischen Union und SPD nährt.
Denn Müntefering steht für die unter dem Stichwort "Hartz"
zusammengefasste Reformpolitik, zu der sich die rot-grüne Regierung
von Gerhard Schröder unter dem Druck der wachsenden Arbeitslosigkeit
und des Zwangs zum Kompromiss mit einem von der Union beherrschten
Bundesrat qualvoll durchgerungen hatte.
Ob der scheidende Genosse es will oder nicht; ob seine Entscheidung
auch mit den Hartz-Absetzbewegungen seiner Partei oder dem Streit um
den Mindestlohn zusammenhängt oder nicht - in der öffentlichen
Wirkung biegt die SPD ohne "Münte" wieder etwas mehr ab vom
Schröder-Kurs. Und damit zwangsläufig vom heutigen Koalitionspartner
CDU/CSU, mit dem die damals begonnenen Reformen recht und schlecht
fortgesetzt wurden und besonders im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
auch Erfolge zeigen.
Kurt Beck könnte mit seinem sommerlichen Versuch, das Profil als
Partei der kleinen Leute durch Korrekturen an den Hartz-Reformen neu
zu schärfen, nun bald als Zauberlehrling dastehen, der ohne den
innerparteilichen Widerpart Müntefering den Geist nicht mehr bändigt,
den er gerufen hat. Das Signal, dass er als Parteichef und auch
Kanzlerkandidat die volle Verantwortung übernimmt, verweigert er mit
seinem Verbleib in Mainz. Die SPD wird sich zunehmend mit der Rolle
der Oppositionspartei anfreunden, die lieber wieder das Fördern auf
ihre Fahnen schreibt als das von Schröder/Müntefering stärker ins
Zentrum gerückte Fordern.
Doch eine grundlegende Neujustierung der Balance zwischen sozialem
Ausgleich und investitionsorientierter Politik ist mit der Union
nicht zu machen - es wäre nach gerade zwei Jahren des Aufschwungs und
bei immer noch weit über drei Millionen registrierten Arbeitslosen
auch viel zu früh.
Der Bundeskanzlerin geht mit dem gelernten Werkzeugmacher ein
verlässlicher Mitstreiter mit Augenmaß verloren; Angela Merkels
Koalition wird ohne ihn instabiler. Solange die SPD im Umfragetief
verharrt, wird sie sich zwar hüten, vorzeitige Neuwahlen im Bund zu
riskieren. Doch die Rolle des loyalen und disziplinierten Partners,
der die Regierungslinie gleichmütig auch mitträgt, wenn die Erfolge
eher mit der Union heimgehen, die spielen die Sozialdemokraten so
nicht mehr. Die Sprengkraft strittiger Themen wie Mindestlohn,
Erbschaftsteuerreform oder Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen
(Föderalismusreform II) wächst.
Nicht zuletzt: Mit Müntefering geht ein weiterer der Genossen, für
die schon aus persönlichen Gründen eine Zusammenarbeit mit
Lafontaines Linkspartei im Bund nicht in Frage kommt. Die deutsche
Innenpolitik wird weniger berechenbar ohne ihn.
Quelle: Pressemitteilung Südwest Presse