Börsen-Zeitung: Ganz sanft
Archivmeldung vom 18.05.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.05.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Treffen von Europas Finanzministern hat zwei bemerkenswerte Einsichten geliefert - und natürlich haben beide miteinander zu tun. Erstens bröckelt die Ablehnungsfront gegen eine Umschuldung. Deutschland denkt laut über die Einbeziehung privater Gläubiger bei Laufzeitverlängerungen nach. Die Niederlande berichten, die Debatte über eine Umschuldung laufe bereits. Und Luxemburg schließt bestimmte Formen davon nicht mehr aus.
Aber Vorsicht: Die Tatsache, dass sich der Ton ändert, heißt noch nicht, dass eine Umschuldung beschlossene Sache ist. Schließlich gibt es noch genug Euro-Staaten, die es lieber sehen würden, Athen einen Nachschuss zu gewähren - in Form eines "Griechenland II"-Pakets.
Das führt zur zweiten wichtigen Beobachtung dieses Treffens. Der Interessengegensatz zwischen Regierungen, die Hilfe benötigen, und denen, die dafür haften, wird immer sichtbarer. Die Kluft wächst: Triple-A gegen den Rest der Euro-Welt.
Die Nehmerstaaten stehen ohnehin zu Hause schwer unter Druck. Aber auch die Geberstaaten sehen sich in ihrer Heimat wachsender Kritik ausgesetzt. Der Aufstieg der Wahren Finnen ist für andere Triple-A-Staaten ein Warnsignal - etwa für Österreichs Regierung, die Angst hat, dass dem Rechtspopulisten Heinz-Christian Strache noch mehr Wähler zulaufen.
Insofern ist es nicht unbedingt das Ergebnis volkswirtschaftlicher Einsicht, dass in den finanziell solideren Regierungen darüber nachgedacht wird, wie ein zu Hause schwer vermittelbarer Nachschlag für die Griechen vermieden werden kann - und damit der Eindruck, man werfe Geld in ein Fass ohne Boden.
Vieles spricht daher dafür, dass weder alles allein auf ein zweites Hilfspaket hinausläuft noch einzig auf einen glatten, schnellen Schuldenschnitt. Vielmehr werden sich wohl alle Euro-Regierungen um eine Korblösung bemühen, die jedem Beteiligten die Chance lässt, das Gesamtpaket vor dem heimischen Publikum zu verkaufen.
Im Vergleich zum Vorjahr hat sich somit etwas Grundlegendes geändert. Europas Regierungen werden heute weniger von den Märkten getrieben als vielmehr von der öffentlichen Meinung. Ein Beleg für den Versuch, dem breiten Publikum zu gefallen, ist die Neigung zur begrifflichen Schönfärberei. Tilgungsaufschub heißt seit neuestem "Neuprofilierung". Und wenn schon von Umschuldung die Rede sein muss, dann wird versucht, sie mit unaufgeregten Attributen sprachlich zu entdramatisieren - freiwillig soll sie sein und ganz sanft. Na, wenn das mal funktioniert.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots)