Lausitzer Rundschau: Zu den Trippelschritten der großen Koalition: Der Zauber verfliegt
Archivmeldung vom 03.05.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs wird häufiger gelacht bei Pressekonferenzen der Koalitionäre. Der Eindruck von Fröhlichkeit trügt jedoch. Die Zuhörer lachen, weil die Verwirrung wächst. Denn bei all den inhaltlichen Einsichten, Kehrtwenden und Formelkompromissen haben die Spitzenkräfte von Union und SPD inzwischen ihre liebe Mühe, nachvollziehbar ihre Spurwechsel zu erläutern.
Die Wortakrobatik
erheitert. Und desillusioniert. Der Zauber der großen Koalition
verfliegt langsam, aber sicher.
Der Koalitionsausschuss des Regierungsbündnisses ähnelt inzwischen
dem Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Was in diese
Instanz hineingeht, kommt verwässert wieder heraus.
Man kann es auch anders ausdrücken: Im Koalitionsausschuss wird wie
auf dem Basar gefeilscht, wer auf welche Weise seine Wählerschaft
bauchpinseln darf. Das ist das besondere Manko der großen Koalition:
Nach fast einem halben Jahr ist deshalb die Hoffnung auf ebenso große
Würfe geschwunden. Die beiden Volksparteien machen stattdessen
Politik in Trippelschritten, sie nehmen viele Rücksichten, weniger
aufs Geld, als auf Befindlichkeiten.
Einige Ergebnisse von Montagabend sind dafür Zeugnis. Zwölf Monate
plus zwei Vätermonate beim Elterngeld sind plötzlich also keine
Bevormundung der Familien mehr; nun darf auch wieder mit der
Gießkanne das Geld verteilt werden, obwohl das familienpolitisch
unsinnig ist und obwohl ursprünglich diejenigen Nutznießer sein
sollten, die gut verdienen und aus Angst vor dem Karriereknick auf
Kinder verzichten. Auch wenn die Koalitionäre anderes behaupten,
Finanzminister Peer Steinbrück ist bei diesem Kompromiss der große
Verlierer. Nicht das erste Mal wird sein finanzpolitischer Kurs des
Maßhaltens vom Tisch gefegt. Er muss jetzt aufpassen, dass der Hang
der Koalitionäre zur Klientelbefriedigung ihn nicht zum Hans Eichel
des schwarz-roten Bündnisses werden lässt. Der Glaube, durch mehr
Umverteilung von Geld Finanzierungsprobleme lösen zu können, hat
nämlich schon Steinbrücks Vorgänger Eichel den Ruf gekostet.
Schlichtweg atemberaubend ist die Vorgehensweise der großen Koalition
bei der Reichensteuer und der Pendlerpauschale. Insbesondere bei der
Reichensteuer betreibt das Bündnis eine unverfrorene Politik des
kalkulierten Verfassungsbruchs rein aus ideologischen Gründen. Mehr
nicht. Denn dieses Instrument spült ja nicht die Kassen des
Finanzministers voll. Sondern die verfassungswidrige Reichensteuer
soll jene beruhigen, die ab 2007 besonders unter einer höheren
Mehrwertsteuer leiden werden und wohl auch mehr Geld ins
Gesundheitssystem pumpen müssen: die Otto-Normal-Bezahler des
Staates. Das Manöver ist also durchsichtig, der Zweck heiligt schier
die Mittel. Mit Gerechtigkeit hat das nur wenig zu tun.
Drei Jahre sind es noch bis zur nächsten Bundestagswahl. Der Wähler
erwartet bis dahin Zukunftsentwürfe. Die gibt es aber nur, wenn sich
die Koalition schleunigst besinnt; wenn sie sich endlich an mehr wagt
als an einfallslose Konsenspolitik und emotionale Kuschelangebote an
die eigenen Reihen.
Quelle: Pressemitteilung Lausitzer Rundschau