Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Olympische Spiele
Archivmeldung vom 16.08.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittChinas eiskaltes Kalkül geht auf. Die Olympischen Spiele in Peking laufen nahezu perfekt und der Sport feiert Triumphe, die dunkle Seite der Macht wird jedoch mit jedem Wettkampftag mehr ausgeblendet.
Tibet, Internet-Zensur und Säuberungen interessieren kaum noch einen. Ganz klar: Wettkämpfe, Sieger, Verlierer, große und kleine Dramen faszinieren und verdienen unsere uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Niemandem soll die Begeisterung genommen, die Freude am Sport getrübt werden. Aber: Außerhalb der Stadien spielt der weltgrößte Polizei- und Spitzelstaat seine miese Macht so ungeniert aus, als gäbe er derzeit gar keine Olympischen Spiele. In den eigens eingerichteten drei Protestzonen in Peking hat noch niemand demonstriert. Dafür sind aber mindestens zwei Antragsteller verhaftet worden. Lhasa, die Hautstadt der nach Völkerecht kulturell eigenständigen chinesischen Provinz Tibet, befindet sich im Belagerungszustand. Militärpatrouillen und Ausweiskontrollen sollen der Sicherheit dienen. Die Tibeter - und auch die Uiguren im Nordwesten - haben verstanden, sie sind starr vor Angst. Vor allem die Aufforderung an die Klöster, alle Teilnehmer der Proteste im März sollten sich selbst anklagen, um ihre »mittelschwere« bis »schwere Strafe« zwecks Umerziehung anzutreten, zeugt von brutaler Entschlossenheit der Zentralregierung. Chinas langer Arm im Internet reicht fast bis zu uns. Wer www.hrchina.org aufruft, kommt seit Wochen nicht mehr über die Startseite hinaus. Dabei stehen die Server von »Human Rights China« selbstverständlich nicht hinter der chinesischen Mauer. Deren besondere Aktion für Gewissensgefangene findet hierzulande dennoch statt. Amnesty hat sechs besondere Schicksale unter www.goldfuermenschenrechte.de ins Netz gestellt. Seit dem 13. Juli haben sich schon 120 000 Leser einer Petition an die chinesische Regierung angeschlossen. Als George W. Bush am vergangenen Montag in Peking zum Gebet in die protestantische Kuanjie-Kirche fuhr, wurde ein anderer Gottesdienstbesucher ein paar Straßen weiter festgehalten: Hua Huiqi, Sprecher der christlichen Hauskirchenbewegung, sollte den US-Präsidenten auf keinen Fall sprechen. Abgefunden hat man sich offenbar auch mit der Gängelung des IOC. Wer es früher nur ahnte, fühlt sich inzwischen absolut bestätigt. Jacques Rogge und wohl auch Michael Vesper haben sich von den Chinesen nach Strich und Faden über den Tisch ziehen lassen. Wichtig ist, dass die kritische Aufmerksamkeit der Welt eben nicht nachlässt. Weder die Regierung noch der riesige Polizeiapparat, wohl aber die Chinesen selbst machen in diesen Wochen eine wichtige Erfahrung. Sie beobachten landesweit, wie hysterisch ihre Führung auf jede, noch so harmlose Anzweifelung reagiert. Menschen in Diktaturen spüren deutlicher als wir, wenn hinter den harten Mienen der Mächtigen leise Angst vor dem eigenen Volk aufkommt. Das bleibt haften.
Quelle: Westfalen-Blatt