WAZ: Indien hat ein Volksauto: Das Wachsen der Giganten
Archivmeldung vom 11.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKlein und putzig kommt er daher, der Tata. Das Volksauto soll der neuen Mittelschicht Indiens ein Vehikel des Wohlstands sein - erschaffen, um jene Ansprüche zu befriedigen, die sich ein Milliardenvolk hart erarbeitet hat. Tata ist das neueste Produkt der gigantischen Motorisierungswelle, die durch Indien und China rollt.
Die westliche Welt hält den Atem an, und das ist sicher keine Übertreibung. Es gibt derzeit wohl kein spannenderes Thema als das Wachsen der asiatischen Giganten. Manchen macht es Angst. Anderen verschlägt es schlichtweg die Sprache.
Indien, die größte Demokratie der Welt. Nebenan das kommunistisch
regierte China, das bevölkerungsreichste Land der Erde. Es ist nicht
nur die Frage, welche Staatsform den Bürgern Wohlstand und
Wohlergehen bringen wird. Es ist nicht die Frage, ob und wie schnell
das wirtschaftliche Wachstum in den Riesenreichen vonstatten geht.
Die zentrale Frage, die sich die westliche Welt stellt, ist: Wie
verträglich wird dieses Wachstum sein?
China giert nach Energie, nach Mobilität. Alle drei bis fünf Tage
geht ein Steinkohlekraftwerk ans Netz. In Peking werden jeden Tag
eintausend Autos zugelassen. Man mag es nicht glauben, aber auf den
Straßen der Hauptstadt sind heute schon 2,5 Millionen Fahrzeuge
unterwegs. Auch das Milliardenvolk Indien sucht verzweifelt nach
Quellen, um seiner wachsenden Wirtschaft genügend Energie zuzuführen.
Experten schätzen, dass das Land seinen Kraftwerkspark innerhalb des
nächsten Jahrzehnts nahezu verdoppeln muss, um den Strombedarf zu
decken. Eine gigantische Aufgabe.
China und Indien, schon bald unter den weltweit vier größten
Energieverbrauchern, sind längst eingetreten in den globalen Wettlauf
um die letzten Rohstoffquellen, in den Kampf um Öl, Gas, Erze. Man
muss kein Volkswirt sein, um das Problem zu erkennen: Gehen China und
Indien den Weg, den der Westen während seiner Industrialisierung
beschritten hat, wird das Wachstum um jeden Preis den Kampf um
Lagerstätten anheizen, wird es jedes internationale
Klimaschutzabkommen ad absurdum führen.
Wie aber verträgt es sich eigentlich mit unseren Werten von
Freiheit und Demokratie, wenn der Westen Indien und China verbietet,
was ihn selbst reich gemacht hat? Andererseits, nehmen wir hin, dass
andere wachsen dürfen, wir aber nicht? Und kann ein gigantischer
Technologietransfer helfen, so etwas wie Energiegerechtigkeit
herzustellen? Fragen, die immer drängender werden, seit der kleine
Tata auf der Welt ist.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Jürgen Polzin)