WAZ: Die EU-Flüchtlingspolitik: Eine Festung mit Namen Europa
Archivmeldung vom 19.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSechs Meter hoch sind die Grenzzäune der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla, die sich auf marokkanischem Territorium befinden. Vor vielen Jahren, als es an diesen Orten weder Stacheldraht noch tote Flüchtlinge gab, haben Soziologen genau diese Entwicklung vorhergesagt.
Forschungsprojekte beschäftigten sich
damals mit der Frage, wie sich wohl die Welt angesichts der
fortschreitenden Globalisierung verändern würde. Eine von mehreren
Zukunftsvisionen hieß "Fortress Building": Die wohlhabenden,
wachsenden Regionen haben Festungen gebaut, an deren Toren jene um
Einlass bitten, die den globalen Wettlauf verloren haben. Heute sind
Ceuta und Melilla die Türsteher Europas.
Viel zu spät beschäftigt sich die EU-Flüchtlingspolitik mit dem
Skandal, der sich rund um den größten Binnenmarkt der Welt abspielt.
Wellen von Flüchtlingen stranden an den europäischen
Mittelmeer-Küsten - tot, halbtot oder lebendig. Die Allermeisten sind
illegale Einwanderer aus Afrika. Flucht und Vertreibung nennen sie
als Grund, warum sie sich auf die meist monatelange Reise gemacht
haben. In der Hoffnung, irgendwo im reichen Europa eine Arbeit zu
finden, haben sie Schleppern und Schleusern für die letzte Passage
über das Meer tausende Dollar gezahlt. Manche dieser Nussschalen
werden von Aufklärungs-flugzeugen entdeckt, die Menschen an Bord
zurückgeschickt. Andere werden von skrupellosen Menschenhändlern
vorher über Bord geworfen. Die Wellen spülen ihre Leichen an die
Ferieninsel Lampedusa.
Vielleicht braucht Europa eine Grenzschutzagentur Frontex, was in
Wirklichkeit nichts anderes als ein Elend-im-Anflug-Frühwarnsystem
ist. Vielleicht können Patrouillenboote, Flugzeuge und eine
systematische Überwachung der Migrationsrouten Menschenleben retten.
Doch mit Sicherheit wird dies nicht das Problem des Zustroms lösen.
Hilfswerke und Entwicklungshelfer plädieren für
Partnerschaftsabkommen mit afrikanischen Herkunftsländern, für legale
Arbeitsmigration.
Im Klartext: Europa wird sich mit der Frage beschäftigen müssen,
wie Flüchtlingen Aufenthalt gewährt werden soll. Wieder sind es
Soziologen, die darauf drängen, diese Antwort schnell zu finden.
Studien warnen, dass der Klimawandel in Gestalt von Dürren und
Überschwemmungen eine Völkerwanderung auslösen könnte: Millionen
Menschen würden sich aus dem Afrika südlich der Sahel-Zone sowie den
Mündungsgebieten in Asien aufmachen in jene Regionen, die wir zu
Festungen ausgebaut haben. Ein Problem, das wir jetzt lösen müssen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung