Börsen-Zeitung: Auf dem Präsentierteller
Archivmeldung vom 19.02.2019
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Freigeschaltet durch André OttWirecard lässt die Rekorde purzeln: Ende September erst stieg der Zahlungsabwickler als erstes Fintech in den Dax 30 auf - keine fünf Monate später ist er der erste Einzelwert, für den die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein Leerverkaufsverbot verfügt.
In den Jahren 2008 und 2010 musste sich noch die Finanzkrise bzw. die Staatsschuldenkrise ereignen, um mit Blick auf Finanzwerte und später auch Staatsanleihen der Euro-Länder sowie entsprechende Kreditausfallderivate ähnliche Eingriffe zu rechtfertigen. Gestern reichten Aktivitäten von Shortsellern aus, damit Deutschlands und auch Europas Marktaufsicht unisono "eine ernst zu nehmende Bedrohung für das Marktvertrauen in Deutschland" diagnostizieren. Unterminieren nicht eher die Aufseher das Vertrauen in den Markt und konkret in Wirecard, wenn sie die Titel der Gesellschaft aus Aschheim als einzige von einer gängigen Usance ausnehmen? Wäre dem öffentlichen Interesse nicht eher gedient, wenn die Aufseher etwaige Manipulationen im Handel mit Wirecard wie bei ähnlichen Attacken in der Vergangenheit zügig zur Anzeige brächten und alles Weitere den Strafverfolgungsbehörden überließen?
2008 und 2010 stand der Finanzsektor bzw. die Eurozone am Abgrund. Im Fall Wirecard kann davon keine Rede sein. Allerdings bietet sich der Dax-Neuling mit dem Unvermögen, sein Geschäftsmodell zu erklären, und hoher Intransparenz Leerverkäufern auf den Präsentierteller an. In keinem anderen der 30 Dax-Werte könnten daher die von der "Financial Times" erhobenen Vorwürfe des Betrugs und der Geldwäsche derartige Kurskapriolen nach sich ziehen. Auch dies lässt sich als Signal des Marktes lesen. Demnach war das Marktvertrauen von vornherein fragil, die Short-Attacken haben dies nur zutage gefördert und das Misstrauen potenziert. "Wenn man sich dem Markt stellt, entsteht ein wirklich starkes Unternehmen", sagte Wirecard-Chef Markus Braun vor wenigen Wochen der Börsen-Zeitung. Nach dieser Maxime sollte er auch handeln.
Die Fehde mit dem britischen Finanzblatt ist derweil so weit fortgeschritten, dass eine der beiden Seiten das Gesicht verlieren dürfte: die Zeitung, weil sie ihre Darstellung nicht aufrechterhalten kann, oder das gegen das Blatt klagende Fintech, weil die von ihm ausgemachten falschen Falschbehauptungen wahr sind. Dann hätte sich der einzige verbliebene deutsche Börsenstar unter den Finanzwerten ohne Not selbst entleibt, ohne dass die BaFin ihm würde helfen können.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Bernd Neubacher