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Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Frankfurter Buchmesse

Archivmeldung vom 12.10.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.10.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Andreas Steinhöfel hat einen Brief erhalten. Eine Lehrerin schreibt ihm, er möge elf Dinge in seinem Kinderbuch »Paul Vier und die Schröders« ändern, sonst tauge es nicht zur Lektüre im Deutschunterricht. Steinhöfel hat das Ansinnen zurückgewiesen. Gut so: Das elende Zeitalter, in dem Pädagogen über Gut und Schlecht im Kinderbuch befanden, muss ein Ende haben.

Die Buchmesse in Frankfurt ist ein Schritt in die richtige Richtung: Phantasie statt Zeigefinger. Ansonsten gilt: Gut ist, was sich gut verkauft, aber im Fall der Buchmesse ist das Schöne am Kommerziellen, dass er dem Ideellen Raum lässt. Der Beschäftigung mit ausgedachten Welten. Dem Spaß an erfundenen Situationen. Dem ungeschützten Verkehr mit dem Intellekt des Anderen, sagt Peter Sloterdijk. Der Leselust eben. Vielleicht bräuchte es dafür keine eigene Messe, vielleicht würden ja die vielen kleinen und großen Buchläden im Land reichen. Aber hieße, zu kurz zu springen, denn erstens zentriert Frankfurt den Blick: 400 000 Bücher auf engstem Raum gedrängt - angesichts der schieren Zahl: wer mag da nicht hinsehen! Und zweitens stellt uns Frankfurt immer aufs Neue einen Gast vor, von dessen Begeisterung für das Lesen wir uns daheim anstecken lassen können. In diesem Jahr ist es Island, ein Land, in dem, statistisch gesehen, jeder der 300 000 Einwohner acht Bücher im Jahr kauft. So sehr begeistern sich die Isländer fürs Lesen, dass sie mit ebenso vielen Autoren (40) nach Frankfurt reisen wie das riesige China vor zwei Jahren - und mit noch mehr neuen Büchern (203) als China damals. Der deutsch-isländische Schriftsteller und Übersetzer Kristof Magnusson kann die Liebe der Isländer zum Fabulieren einfach erklären: »Wenn wir damit aufhören, könnte die Welt vergessen, dass es uns gibt.« Prima fabuliert, aber solange der Strom der Geschichten nicht abreißt, soll's uns nur recht sein. Grettir aus der gleichnamigen Saga hat den Schwarzen Humor erfunden, lange vor den Engländern. Die Sagas wimmeln von selbstbewussten Frauen - und das 1000 Jahre vor Alice Schwarzer. Authur die Tiefsinnige hat ein ganzes Land regiert - Angela Merkel ist bloß eine ferne Epigonin -, und Thorbjörg die Dicke erfand die Patchworkfamilie, das weiß in Island Hinz und Kunz. Und drittens ist die Buchmesse wichtig, weil ja schließlich irgendjemand darüber reden muss, wie es mit dem digitalen Buch weitergeht. Wie in Island die Elfen um den Geysir, so tanzen in Frankfurt die Branchenvertreter um das E-Book, und das seit Jahren. Ebenso seit Jahren findet es niemand cool, sich mit einem elektronischen Lesegerät an den Strand zu legen (jeder liebt sein zerfleddertes Paperback), und ebenso seit Jahren liegt in Deutschland der Anteil der verkauften E-Books ziemlich genau bei einem Prozent. Aber gut, dass wir in Frankfurt mal drüber geredet haben.

Quelle: Westfalen-Blatt (ots)

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