Kommentar zu Merkels Halbzeitbilanz: Moderieren alleine reicht nicht
Archivmeldung vom 19.07.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.07.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Jens BrehlVon Gerhard Schröder hieß es immer, er sei ein Medienkanzler. Unterschwellig schwang in dieser Aussage stets der Vorwurf mit, Schröder lege bei seiner Politik mehr Wert auf Image und Verpackung, als auf den Inhalt. Angela Merkel ist mit solch einem Verdacht bislang noch nicht konfrontiert worden. Das verwundert. Denn auch sie ist vor allem eine Meisterin der politischen Inszenierung.
Schröder versuchte sich in seiner Kanzlerzeit als Macher zu präsentieren. Merkel hingegen arbeitet fleißig daran, der Öffentlichkeit als große Moderatorin zu erscheinen. In der Außenpolitik ist ihr das während des vergangenen halben Jahres auch gelungen.
Gründe dafür gibt es mehrere. Der wichtigste: Dank ihrer Rolle als Präsidentin sowohl bei den EU- als auch beim G8-Treffen stand die Kanzlerin qua Amt im medialen Focus. Das hat sie geschickt genutzt. Und zwar immer nach dem gleichen "Gipfel-Prinzip". Vor den Zusammenkünften betonte ihre Entourage stets die enorm schwierige Sachlage, die auf die Kanzlerin warten würde. Im Anschluss an die Treffen konnten ihre persönlichen Verpackungskünstler dann selbst die kleinsten Fortschritte um so einfacher als historische Großtaten der Moderatorin Merkel verkaufen. So war es nach dem EU-Klimagipfel. So war es nach dem EU-Verfassungsgipfel. Am augenfälligsten aber war es nach dem G8-Treffen in Heiligendamm. Selbst das Wiederholen alter, bislang nicht eingehaltener Versprechen, wurde damals als diplomatisches Meisterwerk der Kanzlerin verkauft. Die Hofberichterstatter von Deutschlands größtem Boulevardblatt ernannten sie daraufhin prompt zur "Miss World" und auch andere Zeitungen taten so, als sei Frau Merkel das ultimative Spitzenprodukt der politischen Evolution.
Der Fall Schäuble
Nun ist die Außenpolitik weit weg. Bei ihr kann man im Vagen bleiben. Es zählen die großen Überschriften. Viel beschwerlicher ist das Geschäft in den Niederungen der Innenpolitik. Zwar versucht Merkel ihr "Gipfel-Prinzip" auch auf nationaler Ebene zu spielen - jüngstes Beispiel ist der Integrationsgipfel. Doch auf Dauer wird das schwerlich als Erfolgsrezept reichen.
In der Innenpolitik zählt das Konkrete. Merkel aber pflegt auch hier ihren Hang zum Ungefähren. Überdeutlich wurde das gestern wieder bei ihrer Halbzeitbilanz. Da bringt der Bundesinnenminister seit Wochen mit seiner Scharfmacherei die politische Klasse bis hin zum Bundespräsidenten auf die Palme und alles, was der Kanzlerin dazu einfällt, ist, dass es keine Denkverbote geben dürfe. Ein klares Wort zum Inhalt der Schäuble-Vorschläge? Fehlanzeige.
Führungskraft
Das findet ihre Fortsetzung bei anderen innerkoalitionären Streitthemen. Mindestlohn und Atomkraft sind nur zwei davon. Wie ist Merkels Haltung dazu? Wann will die Kanzlerin diese heißen Eisen anpacken? Wohin plant sie den Zug zu steuern? Man möchte es gerne wissen. Doch die Kanzlerin bleibt im Nebulösen. Schnell drängt sich da die Frage auf: Weiss Frau Merkel es etwa selbst nicht? Wenn die SPD inzwischen stärkere Führungskraft von der Kanzlerin einfordert - es muss ja nicht gleich die polternde Art von Schröder sein -, ist das natürlich auch ein machtpolitisches Manöver. Von der Sache her ist es dafür aber noch lange nicht falsch. Merkel kann moderieren, sie muss aber auch Farbe bekennen. Irgendwann nämlich werden selbst schön inszenierte Pressekonferenzen und ein entspanntes Lächeln der Kanzlerin nicht mehr alle Probleme übertünchen können.
Quelle: Pressemitteilung Aachener Nachrichten