Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) schreibt zum CDU-Bundesparteitag
Archivmeldung vom 04.12.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm schönsten ist es immer noch in der Mitte. Die CDU ist gestern in Hannover angetreten, den vom Berliner Koalitionspartner per Linksruck freigemachten Platz in aller Breite auszufüllen. Dankbar und glücklich sind die Unionsstrategen darüber, dass die SPD auf Abstand geht und dabei noch mehr Raum für Angela Merkel lässt.
Das Ergebnis haben 1000 Delegierte in riesigen Lettern weiß auf blau vor Augen: »Die Mitte«. Noch nie gab es ein so knappes und bündiges Motto für einen Bundesparteitag. Schauplatz dieses Platzwechsels ist exakt jene gigantische Messehalle, in der Gerhard Schröder 1996 seine Neue Mitte beschwor, die ihn zwei Jahre später an die Macht brachte. Die SPD will heute davon nichts mehr wissen, nicht nur weil damals beinahe Oskar Lafontaine auf den Kanzlerkandidaten-Schild gehoben worden wäre. Der Union ist der Platzvorteil quasi über Nacht in den Schoß gefallen. Jetzt gilt es klarzustellen, dass man mehr ist als Kanzlerwahlverein, konservativer Klüngel, liberaler Feigenblatthalter oder sozial überaktiv. Die Mitte hat einen Haken. Auch dort muss man sagen, wo man steht. Saarlands Ministerpräsident Peter Müller löst das Problem auf die ihm eigene spöttische Art: »Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht.« Grundsatzprogramme sind eine Ansammlung guter Wünsche, schöner Formulierungen und frei von Festlegungen im Detail. Deshalb musste Merkel aus tausendmal gesagten Sätzen eine schlüssige Grundsatzrede basteln. Von »sozial ist, was Arbeit schafft«, über »offen sein für Neues« bis »Bewährtes bewahren« reichten die scheinbaren Allgemeinplätze. Allerdings: In der Summe boten Merkels Botschaften ein geschlossenes Bild, nämlich das Welt- und Gesellschaftsverständnis der Union. Werte ja, aber kein Zwang, Leitkultur auch, nur nicht als Keule, sondern Wegweisung. Freiheit selbstverständlich, aber nicht auf Kosten anderer. Christliche Soziallehre sowieso, nur nicht in SPD-Version als »soziale Gerechtigkeit«. Schließlich gute Außenpolitik, kombiniert mit dem Signal-Wort Menschenrechte. Gerade im Integrationsteil des Grundsatzprogrammes wird der Unterschied zur SPD deutlich. Da steht das Einfordern von Deutschkenntnissen. Auch das Nachzugsverbot unter 18 Jahren muss sein, weil nur so Zwangsehen verhindert werden. Schließlich die alte Kennedy-Frage selbst an Zuwanderer: Was kannst du zum Gelingen der Gesellschaft beitragen? Schon gestern begann der Praxistest für das neue Hannoveraner Programm. Nur mit einer »Botschaft der Wahlfreiheit« schaffte es Merkel so gerade noch, die drohende Ablehnung des Erziehungsgeldes für daheimbleibende Mütter und Väter zu umschiffen. Es wird noch viele solcher Formelkompromisse brauchen, um Grundsätzliches und Unvereinbares auf Linie zu bringen. Das neue Parteiprogramm ist kein Universalschlüssel für alle Probleme.
Quelle: Westfalen-Blatt