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Börsen-Zeitung: Auflösungserscheinungen, Kommentar zu G20

Archivmeldung vom 11.07.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.07.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Unter dem Klima- und Energieaktionsplan der Staats- und Regierungschefs beim G20-Gipfel war die Tinte noch nicht trocken, da scherte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schon aus und knüpfte die noch ausstehende Ratifizierung des Abkommens in seinem Land an Finanzforderungen. Dass US-Präsident Donald Trump eigene Wege geht, hatte man bereits erwartet. Es sei "das Schlimmste verhindert" worden, hieß es hernach trotzdem in Reaktionen; man habe eben pragmatisch gehandelt.

Aber was ist von einer internationalen Zusammenarbeit zu halten, wenn ein Land nur Minuten nach Unterschrift die dadurch beglaubigten Zusagen wieder zurücknimmt? So viel Unverbindlichkeit und so wenig Empörung der verbliebenen Unterzeichner lassen am Sinn solcher Erklärungen zweifeln.

Vielleicht sollte man über den offenen Dissens schon froh sein. Denn in der Handelspolitik wurden die Konflikte durch wachsweiche Formulierungen nur verklausuliert. Wäre es etwa zu konkreten Zusagen im Kampf gegen den Protektionismus gekommen, wären diese ohnehin nicht umgesetzt worden, insinuiert ein Bericht von "Global Trade Alert" mit Verweis auf frühere Gipfelversprechungen.

Diese Entwicklung ist hochgefährlich, weil sie internationale Verträge infrage stellt. Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der Vertragsparteien, die Anerkennung globaler Rechtsnormen sind schließlich die Voraussetzungen sowohl für globalen Handel als auch für Umweltschutz und Frieden insgesamt.

Solche Auflösungserscheinungen sind auch in der EU/Eurozone zu beobachten. Die Staatengemeinschaft müsste ob ihrer besonders engen Verflechtung eigentlich ein noch größeres Interesse an Rechtsverbindlichkeit haben. Aber die einst feierlich unterzeichneten Verträge (Defizitgrenzen, No-Bail-out-Klausel) werden negiert oder umgedeutet. Wie ein schleichendes Gift breitet sich diese Missachtung inzwischen auf demokratische Wesenselemente aus, wie in Polen oder Ungarn zu beobachten. Das lockert den Zusammenhalt, der Gemeinschaftsgeist verfliegt.

Es ist dieser Zerfall des Rechts, der die internationale Zusammenarbeit im Kern bedroht, weniger das Scheitern einzelner Projekte. Und herrscht einmal Anarchie, regiert das Recht des Stärkeren. Deren Selbstdisziplinierung diene dazu, sich dem Paradies wieder annähern zu können, warb schon der Philosoph Jean Jacques Rousseau für den Abschluss von Verträgen - betonte aber, dass das nur für Gesellschaften gelte, in denen "Vernunft" herrscht.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Stephan Lorz

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