Rheinische Post: Mubarak ist noch wichtig
Archivmeldung vom 07.02.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBei allen großen Weltkrisen ist es so, dass die Zahl der schlauen Experten, die alles haben kommen sehen, mit jedem Tag größer wird. In der ägyptischen Staatskrise, die ein arabischer Flächenbrand oder eben auch eine Weltkrise werden kann, ist das nicht anders. Seit gut einer Woche füllen sich die Kommentarspalten und Nachrichtensendungen mit markigen Aussagen von allerlei Nahost-Kennern, die wahlweise der Bundesregierung, der Europäischen Union, dem US-Präsidenten oder allen dreien Untätigkeit gegenüber Hosni Mubarak und seinen Gefolgsleuten vorwerfen.
Das ist im besten Fall idealistisches Geschwätz, das entweder dem Beeindrucken der Wähler oder der Befriedigung eigener Eitelkeit dienen soll. Politik aber beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Die Lage in Ägypten ist unübersichtlich. Was es am wenigsten braucht, sind Drohgebärden in Richtung des noch amtierenden Präsidenten Mubarak oder der Opposition. Der Satz, den Kanzlerin Angela Merkel und ihr Außenminister Westerwelle deshalb derzeit wie ein Mantra aufsagen, lautet richtigerweise: Niemand hat dem ägyptischen Volk vorzuschreiben, von wem es regiert werden möchte. Es ist nicht die Zeit der Schaufensterpolitik, sondern der Diplomatie. In deren Wesen liegt es, dass viele Kontakte diskret erfolgen. Sowohl die US-Administration, der die Schlüsselrolle zukommt, als auch die EU und sogar Deutschland sind bemüht, den Kontakt zu den alten Eliten zu halten und erst einmal herauszufinden, wer sich anschickt, die neuen Eliten zu bilden. In unserer wieder bipolaren Welt stünde mit China - wie in Afrika häufiger geschehen - zudem eine andere Schutzmacht für Ägypten bereit. Um einen friedvollen Übergang Ägyptens von einem autokratischen Regime zu einer Zivilgesellschaft mit einem Mindestmaß an Teilhabe zu bewerkstelligen, wird es die alten Machtstrukturen brauchen, vor allem die Armee. Wer aus der Opposition am Ende dazu taugt, das Land mit zu führen, ist noch völlig unklar. Stabilität muss vorrangiges Ziel westlicher Politik sein. Eine stabile, keine anarchische, auch keine islamisch geprägte Gesellschaft ist Voraussetzung, dass die im Durchschnitt 24 Jahre junge, wirtschaftlich unwuchtige ägyptische Zivilgesellschaft sich in Richtung Demokratie entwickeln kann. Stabilität muss auch mit Blick auf Israel Ziel sein. Es braucht wenig Fantasie zu erahnen, was ein Abdriften der arabischen Zentralmacht in das Lager aggressiver Israel-Gegner bedeuten würde. Deshalb ist das zögerlich wirkende, tatsächlich besonnene Vorgehen der westlichen Diplomatie richtig. Weder Ägyptens keineswegs machtlose Machthaber noch der junge akademisierte Protest auf dem Tahir-Platz dürfen verprellt werden. Kairo markiert eine Zäsur in der Geschichte des 21. Jahrhunderts. Besser ein paar Wochen geredet als nur einen Tag geschossen.
Quelle: Rheinische Post