Leipziger Volkszeitung zum G8-Gipfel
Archivmeldung vom 17.07.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.07.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSelten haben Erwartungen und Ergebnisse eines G8-Gipfels so auseinander gelegen wie in St. Petersburg. Vor allem für Russlands Präsidenten Wladimir Putin, der sich vom Treffen mit den sieben führenden Industrienationen die Präsentation als wiedererstarkte Großmacht erhoffte, brachte der Gipfel eine Erkenntnis:
Wenn politische Weltkrisen - wie die Kriegsgefahr im Nahen
Osten - unverhofft auf die Agenda rücken, bleibt kein Platz für
russische Profilierungsversuche.
Statt Gipfelglanz herrscht nun Ernüchterung im Kreml. Symptomatisch
für die Gräben, die sich quer durch die wichtigsten Industrienationen
ziehen, ist die Reaktion auf die militärische Eskalation zwischen
Israel und den Hisbollah-Milizen im Libanon. Es droht ein politischer
Flächenbrand mit ungeahnten geostrategischen Folgen, und die
mächtigsten Regierungschefs der Welt ringen sich erst nach
langwierigen Kontroversen zu einer gemeinsamen Linie durch. Die
Aufforderung an beide Seiten zur Einstellung, zeugt zwar von gewisser
Einigkeit, der Einfluss auf die Kriegsparteien bleibt aber gering. So
dokumentiert die Erklärung vor allem die Ratlosigkeit auf dem Gipfel.
Das frostige Klima zwischen den beiden alten politischen
Ost-West-Rivalen belegt auch Putins kühle Reaktion auf Bushs
Forderung, sich der harten Haltung der USA gegenüber dem geplanten
iranischen Atomprogramm anzuschließen. Der Kremlchef wies alle
Offerten demonstrativ ab. Und vergaß nicht den subtilen Hinweis, dass
man sich nicht an einem Kreuzzug beteiligen werde. Eine öffentliche
Düpierung des US-Präsidenten, der im Vorfeld des Irak-Kriegs von
einem Kreuzzug gegen das Böse gesprochen hatte.
In Anbetracht dieser diplomatischen Nadelstiche zum dominierenden
Thema Nahost auf dem Gipfel war es logisch, dass der vorab geplante
Schwerpunkt globale Energiesicherheit nur noch ein Randdasein fristen
konnte. Auch wenn allen Beteiligten klar sein musste, wie folgenreich
sich eine lang anhaltende Eskalation in dieser Region beispielsweise
auf den Ölpreis auswirkt. Das erstmals auf einem Gipfel vorgestellte
Konzept zur Sicherstellung der weltweiten Energieversorgung verdient
dennoch ein Ausrufezeichen.
Die grundsätzliche Zustimmung zum Ausbau der Kernenergie ist auch ein
klares Signal, sich in Zukunft von den politischen Unwägbarkeiten der
Erdöl-Förderung mehr als bisher abzukoppeln. Deutschland bildet die
Ausnahme, der Koalitionsvertrag schreibt den Ausstieg aus der
Kernkraft vor. Positiv für Kanzlerin Merkel, dass dies von den G8 als
Sonderweg festgehalten wurde. Zu Hause allerdings droht Unheil vom
Wirtschaftsminister. Glos fordert erneut längere Laufzeiten für
deutsche Atomkraftwerke. Mit dem Signal von Petersburg und dem
Bundesverband der Deutschen Industrie im Rücken, könnte der eher
unauffällige Ressortchef den nächsten Koalitionskrach ausgelöst
haben.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung