LVZ: Die Leipziger Volkszeitung zur Gesundheitsreform
Archivmeldung vom 13.01.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.01.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFür Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ist es - mal wieder - ein wichtiger Durchbruch. Für SPD-Chef Kurt Beck sogar ein endgültiger Durchbruch. Doch was ist die Gesundheitsreform für die Bürger?
Zunächst: Komplett unverständlich.
Fast 80 Prozent der Deutschen, quer durch alle Parteien und
Schichten, haben keinen Schimmer, was die Regierung in ihren
nächtlichen Marathonsitzungen ausgebrütet hat. Allerdings schwant
einigen Versicherten, dass die Reform zunächst keine Verbesserung für
sie bringt: Die Krankenkassen erhöhen die Beiträge, um bis zur
Einführung des Gesundheitsfonds ihre illegal angehäuften Schulden zu
tilgen. Die Lohnnebenkosten bleiben zu hoch, verhindern Investitionen
und neue Jobs. Nimmt sich die Regierung das Urteil der Bürger zum
Maßstab, dann ist sie bei der Gesundheitsreform ganz jämmerlich
zusammengebrochen.
Selbstkritik scheint jedoch eines der letzten politischen Tabus zu
sein. Die Maßstäbe von SPD und Union sehen deshalb anders aus. Erst
kommt die Gesichtswahrung mit Blick auf Länderinteressen und die
Bundestagswahl 2009, dann die Befriedigung diverser
Klientelforderungen. Die Versicherten tauchen am Ende auf. Fazit:
Selbst wenn sie noch so wenig von dem Mammutprojekt verstehen, ihre
schwindende Bedeutung im politischen Geschehen spüren die Menschen
genau. 82 Prozent glauben Umfragen zufolge, dass auf die Interessen
des Volkes kaum Rücksicht genommen wird. Die Hälfte der Befragten ist
zudem überzeugt, durch Wahlen keinen Einfluss ausüben zu können. Wer
nach Gründen dieser Verdrossenheit sucht, findet Antworten bei der
Gesundheitsreform. Denn was haben die Menschen aus dem
Prestigeprojekt von Kanzlerin Angela Merkel lernen können?
Erstens: Das maximal Erreichbare der großen Koalition ist ein aufs
Gerippe zerfledderter Kompromiss ohne echte Einsparungen. Dies macht
keine Hoffnung auf kommende politische Konstellationen. Die Worte
demografiefest und konjunktursicher sollte in nächster Zeit kein
Großkoalitionär im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform in den Mund
nehmen. Zweitens: Politisches Handeln beschränkt sich zunehmend auf
das Abarbeiten von Lobbyinteressen. Der jüngste schwarz-rote Deal ist
symptomatisch. Die privaten Kassen werden der Union zuliebe geschont,
dafür bekommt die SPD ihre Versicherungspflicht. Drittens:
Unionskanzlerin Merkel hat weniger Probleme mit der
sozialdemokratischen Bürgerversicherung als mit ihren eigenen
Ministerpräsidenten, die das Reformwerk von allen Seiten zerschossen
haben. Diese Art von innerparteilichen Machtkämpfen erschließt sich
nur Insidern, die von Berufs wegen oder aus bewundernswerter Neugier
für derartige Possen zu haben sind.
Kein Bürger muss die ganze Reform verstehen. Die Politik sollte den
Menschen aber zumindest das Gefühl geben, ihr liege etwas an der
Vermittlung und sie glaube ihren eigenen Worten.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung