Boersen-Zeitung: Hoffen auf die Hedgefonds, Kommentar zum Übernahmekampf um Euronext von Bernd Neubacher
Archivmeldung vom 23.05.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlRespekt! Bei der Konsolidierung der globalen Börsenlandschaft geht die New York Stock Exchange (Nyse) ebenso zügig wie raffiniert zu Werke. Seit gut drei Monaten erst ist die Nyse Group börsennotiert, da legt Chief Executive John Thain schon eine Offerte über gut 10 Mrd. Dollar für Euronext vor.
Eine Übernahme hätte für ihn mehrere Vorzüge. Erstens: Thain spart
sich einen teuren Bieterstreit mit dem Rivalen Nasdaq um die London
Stock Exchange (LSE). Zweitens: Anders als die LSE brächte Euronext
einen Terminmarkt ein, der die Produktpalette des Big Board
entscheidend erweiterte. Drittens: Mit einer Listing-Plattform im
Ausland könnte die Nyse ausländische Emittenten locken, die das in
den USA geltende Sarbanes-Oxley-Gesetz abschreckt. Viertens: Mit der
Integration von Euronext hätte die Nyse eine ihr potenziell
gefährliche Allianz zwischen der Euronext und der Deutschen Börse
verhindert.
Um den Aktionären des Börsenbündnisses die Übernahme schmackhaft
zu machen, hat sich das Management der Nyse aus der Fusion Synergien
von sage und schreibe 375 Mill. Dollar zusammengerechnet. Großteils
entfallen die Einsparungen zwar auf eine Flurbereinigung im Wildwuchs
der Handelssysteme an der Nyse, die am Big Board ohnehin überfällig
ist.
Thain aber muss zumindest auf dem Papier etwas bieten, um die
Euronext-Aktionäre davon abzulenken, dass eine Fusion der Nyse viel,
ihnen aber wenig brächte. Den Anteilseignern des paneuropäischen
Handelsplatzes wird nicht nur ein deutlicher Abschlag auf ein
zugegebenermaßen heißgelaufenes Kursniveau zugemutet, sondern auch
eine Bezahlung vor allem in Nyse-Aktien, deren Bewertung sich im
Vergleich zur Branche überdurchschnittlich stark aufgebläht hat.
Dass Euronext die Offerte der Nyse, die einen Marktbetreiber mit juristischem Sitz im US-Bundesstaat Delaware vorsieht, am Montag trotz alledem als die attraktivste Variante bezeichnet hat, zeigt, dass die Debatte um den Unternehmenssitz in den Fusionsgesprächen mit der Deutschen Börse nur vorgeschoben war. Dem Frankfurter Marktbetreiber bleibt die Hoffnung, dass auf der Hauptversammlung von Euronext dieselben Hedgefonds, die schon den Zusammenschluss von Deutscher Börse und LSE verhinderten, abermals eine Börsenfusion vereiteln werden.
Quelle: Pressemitteilung Börsen-Zeitung