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Westdeutsche Zeitung: Der Präsident erfüllt nur teilweise die Erwartungen

Archivmeldung vom 04.10.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.10.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wir warteten auf die erste große Rede des jungen Präsidenten. Doch großartig geriet sie nicht, wahrscheinlich wird sich bald keiner mehr an sie erinnern. Aber wenigstens verdient das, was Wulff zum 3. Oktober sagte, das Prädikat angemessen. Immerhin schaffte er es - was auch wohltuend bei den anderen Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Vereinigung auffiel - auf übertriebenes Pathos zu verzichten. Er lobte pflichtgemäß die Aufbauleistungen der Ostdeutschen und den heutigen unverkrampften Patriotismus, der in Deutschland Einzug gehalten hat.

Mit Letzterem liegt er goldrichtig. Wenn man sich erinnert, dass während des Einheitstaumels viele das heftige Schwenken von schwarz-rot-goldenen Fahnen irritierend fanden, ist es wohltuend, dass sich bei uns ein ähnlich entspannter Umgang mit nationalen Fragen wie in anderen Ländern durchgesetzt hat.

Das wirklich Wegweisende an Wulffs Ansprache war: Er verwendete die gefallene Mauer nur als Einstieg, um eine neue Trennung in der Gesellschaft anzusprechen - die zwischen Deutschen und Immigranten. Ohne dass der Präsident den Namen Sarrazin erwähnte, nahm er die durch das vieldiskutierte Buch heftig gewordene Integrations-Debatte auf. Sinnvoll war, dass er versuchte, falsche Konfrontationen zu vermeiden und dabei dämpfend auf das derzeit alles dominierende gesellschaftliche Thema einzuwirken. Angesichts der aufgeheizten Stimmung war es sicherlich richtig, wie Wulff betonte, Präsident aller Menschen, die in Deutschland leben, zu sein. Ob allerdings die Mehrheit der Einheimischen seiner Einschätzung folgt, dass neben Christentum und Judentum mittlerweile auch der Islam ganz selbstverständlich zu Deutschland gehöre, kann man bezweifeln. Denn die wichtige Frage der gegenseitigen Toleranz ist damit leider nicht beantwortet.

Doch insgesamt kann man die Feierlichkeiten zum 3. Oktober positiv werten. Sie waren weitgehend friedlich, sachlich und dank Wulffs Integrations-Impuls sogar ein wenig zukunftsweisend. Noch weiter nach vorne gedacht wäre jedoch die selten gestellte Frage, wann das vereinte Deutschland Normalität ist. Antwort: Spätestens dann, wenn wir keinen speziellen Feiertag mehr benötigen und den Solidaritätszuschlag abgeschafft haben. 

Quelle: Westdeutsche Zeitung

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