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BERLINER MORGENPOST: Die Linkspartei ist nicht abgeschrieben

Archivmeldung vom 02.07.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.07.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Dass die Wahl unseres Staatsoberhaupts immer mehr ist als die Kür des Präsidenten, hat sich so deutlich wie selten zuvor bestätigt. Ein Kampf um die Macht im Lande war's. Mit dem Punktsieger Christian Wulff, der heute ins Schloss Bellevue einzieht. Und mit gleich zwei Verlierern. Angesichts des Menetekels im schwarz-gelben Mehrheitslager mit der Anführerin Angela Merkel ist zunächst etwas aus dem Fokus geraten, dass auch das rot-rot-grüne Oppositionslager seine Bewährungsprobe nicht bestanden hat.

Die zunächst stille, vor dem dritten Wahlgang aktiv beförderte Hoffnung von SPD und Grünen, dank der Linkspartei doch noch ihren Kandidaten Gauck durchzubringen und damit das Sprengpotenzial innerhalb der Regierung zu vermehren, war am Ende trügerisch, die Enttäuschung riesig. Sie geht so weit, dass SPD und Grüne nach der Verweigerungshaltung der Linkspartei kaum noch Chancen für künftige rot-rot-grüne Bündnisse sehen. Das sollte nicht besonders ernst genommen werden. Schon im Fall der Präsidentenwahl ist das Spitzenpersonal von SPD und Grünen der Linkspartei so weit wie noch nie - geradezu kotauartig - entgegengekommen, um ihre Unterstützung im entscheidenden dritten Wahlgang zu erbitten. Vergeblich, weil Lafontaine, Gysi und Genossen von ihrer Fundamentalopposition nicht lassen wollen. Entscheidender aber dürfte gewesen sein, dass die Linkspartei nicht glaubte, sich selbst und ihrem Milieu einen Kandidaten zumuten zu können, der so radikal wie glaubhaft für die Aufklärung der Stasi-Verbrechen und die Mahnung vor Schönrederei der DDR steht. Die Linkspartei hat damit einmal mehr ihr wahres Gesicht gezeigt, sich einer überfälligen Einsichts- und Versöhnungsgeste verweigert. Das Wehklagen von SPD und Grünen, damit sei eine große Chance für rot-rot-grüne Experimente vertan, ist eine Momentaufnahme. Wenn es um die Macht geht und sich neue Perspektiven für Mehrheiten des linken Lagers eröffnen, wird aus dem Frust von heute wieder Hoffnung für morgen. In Nordrhein-Westfalen laden SPD und Grüne die zuvor als "koalitionsunfähig" verschmähte Linkspartei bereits als Mehrheitsbeschaffer für ihre Landesregierung ein. Ganz zu schweigen von Berlin. Hier findet der stellvertretende Vorsitzende der Bundes-SPD und Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit immer wieder Argumente für seine Koalition mit der Linkspartei, solange die ihm dienlich ist. Das wird spätestens 2013, wenn die Zahlen reichen, im Bund nicht anders sein. Mit welchem SPD-Kanzlerkandidaten auch immer. Wer nimmt dann noch ernst, worüber er sich vor drei Jahren echauffiert hat? Was aber würde der rot-grüne Präsidentschaftskandidat Joachim Gauck dann zu einem Bündnis mit den SED-Erben sagen? Das würde Sozialdemokraten und Grüne kaum mehr interessieren. Joachim Gauck hat am Mittwoch seine Schuldigkeit getan.

Quelle: BERLINER MORGENPOST

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