Börsen-Zeitung: Konjunktureller Überschwang
Archivmeldung vom 16.05.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Wucht des deutschen Aufschwungs hat - wieder einmal - die Ökonomen überrascht. Das erste Quartal ist mit einem Wachstumsplus von 0,5% viel besser ausgefallen, als erwartet worden war. Die bremsenden Kräfte der Mehrwertsteuererhöhung hielten zwar den Konsum etwas zurück, doch wurde das von der Dynamik in anderen Bereichen mehr als ausgeglichen.
Inzwischen gibt es sogar Signale
dafür, dass wegen der Besserung auf dem Arbeitsmarkt und der höheren
Lohnabschlüsse auch die Verbraucher ihre Zurückhaltung aufgeben.
Deutschland, so die optimistische Lesart der Wachstumsdaten, hat den
Anschluss an die anderen Länder wieder gefunden und sogar die
Funktion einer Wachstumslokomotive übernommen.
Viele Ökonomen haben mit dieser Entwicklung in den vergangenen
Monaten nicht mehr gerechnet. In jahrelanger Beobachtung der
deutschen Konjunktur zum Skeptiker geworden - immerhin hat die
ökonomische Realität die schlimmsten Befürchtungen bisher meist
übertroffen -, sehen sie sich nun gezwungen, alle paar Wochen ihre
Prognosen nach oben zu revidieren - und werden übermütig.
Der aufkommende konjunkturellen Überschwang muss jedoch zur
Vorsicht mahnen. Immerhin sind die jüngsten Entwicklungen in der
Politik nicht dazu angetan, den Aufschwung zu stärken. HartzIV war
gestern, heute wird um die Einführung von Mindestlöhnen gerungen, um
mehr öffentliche Ausgaben gefeilscht und Zug um Zug das
Gesundheitswesen verstaatlicht. Nicht nach vorne geht in Berlin der
Blick, sondern zurück in die (schein)heile Welt eines
Kuschelsozialismus, der sich gern hinter der Chiffre der "sozialen
Verantwortung" verbirgt. Selbst die von der Wirtschaft sehnsüchtig
erwarteten Reformwerke etwa im Steuersektor werden auf dem
Koalitionsaltar so lange hin- und hergezerrt, bis man schon froh sein
muss, wenn der Status quo erhalten bleibt.
Ist das die Basis für einen nachhaltigen Aufschwung? Wohl kaum. In
Berlin wird vielmehr der Keim für den nächsten Abschwung gelegt, wenn
sich die Akteure nicht bald eines Besseren besinnen. Denn während die
Unternehmen ihre Hausaufgaben längst gemacht haben und damit
überhaupt erst den Zündfunken für das heutige Wachstum geliefert
haben, muss die Politik nun mit Reformen dafür sorgen, dass die
Konjunkturflamme nicht ausgeht.
Quelle: Pressemitteilung Börsen-Zeitung