Westdeutsche Zeitung: Nokia
Archivmeldung vom 18.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWie sich die Bilder gleichen: Jürgen Rüttgers steht vor den Toren eines Handy-Herstellers und prangert die Unternehmensführung an. Wie damals bei BenQ in Kamp-Lintfort und Bocholt gibt der CDU-Politiker jetzt bei Nokia den Arbeiterführer und kritisiert die Auswüchse der Globalisierung.
Als Ministerpräsident von NRW zeigt er Solidarität mit den betroffenen Mitarbeitern - das muss sein, das erwarten seine Wähler von ihm. Wenn er aber per Megafon die Nokia-Manager als "Subventions-Heuschrecken" beschimpft, verfällt er einem eher billigen Populismus. Als Regierungschef von NRW ist Rüttgers auch Standortpolitiker. Und als solcher weiß er nur zu genau, dass Weltkonzerne in der heutigen Zeit zum fahrenden Volk zählen: Sie wandern von Finnland über Deutschland nach Rumänien, wenn es nur dem Profit dient. Rüttgers geißelt das Spiel, an dem er selbst teilnimmt. Wenn er die Möglichkeit hätte, würde er gerne Firmen aus Rumänien nach NRW lotsen. Die Empörung über die Entscheidung des finnischen Handy-Riesen ist gleichwohl flächendeckend. Das Ruhrgebiet ist so zornig wie zuletzt beim Kampf um das Stahlwerk Rheinhausen. Vor rund 20 Jahren hieß das Kampfmittel Blockade von Autobahnbrücken. Heute ist der Boykott der Nokia-Produkte die schärfste Waffe im Kampf gegen die Werksschließung. In Bochum wurden noch bis Weihnachten Sonderschichten gefahren, Millioneninvestitionen für den Standort Bochum waren in der Planung für 2008. Das Aus kam über Nacht, die Mitarbeiter wurden zur bloßen Manövriermasse reduziert - die Globalisierung schlägt im Revier mit der ganzen Härte zu. Im Internet, auf den Straßen und an den Stammtischen sind sich immer mehr Bürger einig: kein Nokia mehr. Das ist zunächst nicht mehr als ein Reflex auf die als zutiefst ungerecht empfundene Entscheidung. Verfestigt sich das aber - und im Moment sieht alles danach aus - haben die Finnen ein echtes Problem. Asozial und ungerecht - ein solches Image kann sich Nokia auf Dauer nicht leisten. Deswegen wird der Konzern auch mit Rüttgers reden müssen, deswegen wird er einen großzügigen Sozialplan auflegen müssen. Mehr ist aber nach Lage der Dinge nicht möglich.
Quelle: Westdeutsche Zeitung