WAZ: Über Ideale und Doppelmoral
Archivmeldung vom 08.06.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAngesichts der aktuellen Vorgänge auf dem Trainermarkt empörte sich der Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen, Wolfgang Holzhäuser: "Das derzeitige Verhalten ist mit ethischen und moralischen Grundsätzen nicht mehr vereinbar."
Was will der gute Mann uns damit sagen? Anders gefragt: Sind Elefanten groß? Können Vögel fliegen? Sind die Bayern arrogant? Gehört Chaos zu Schalke? Schlägt Assauer Frauen?
Schlimm genug, dass Spieler und neuerdings auch Trainer gnadenlos und unter Ausnutzung jeglichen Erpressungspotenzials ihren Vorteil suchen. Noch ärgerlicher allerdings ist in diesen von Profitsucht geprägten Zeiten die Heuchelei und Scheinheiligkeit. Das nächstbeste Angebot wahrzunehmen und auf Verträge wie öffentliche Treuebekenntnisse zu pfeifen, ist eine Sache. Uns mit Gesäusel zu nerven, im Herzen würden sie immer ein (hier ist jeder Vereinsname einsetzbar) bleiben, eine andere.
Die Klubs wiederum täten gut daran, nicht die beleidigte Leberwurst zu spielen, bloß weil die jahrelang von ihnen wie leicht verderbliche Ware behandelten Trainer plötzlich mit gleicher Münze zurückzahlen.
Wenn Wolfgang Holzhäuser, der vor einem Jahr Bruno Labbadia in Fürth aus einem laufenden Vertrag herausgeholt hat, nun die gleiche fragwürdige Vorgehensweise beim HSV anprangert, entbehrt dies nicht einer gewissen Komik. Ist aber ebenso peinlich wie die Moralpredigt von Jupp Heynckes, der bei seiner Vorstellung als Bayer-Trainer über seine vertragsbrüchigen Kollegen herzieht und nebenbei die Verpflichtung des noch in Nürnberg angestellten Peter Hermann als Co-Trainer bekanntgibt.
Hinweise auf solche Doppelmoral lösen reflexartig den Einwand aus, der Sport sei nun einmal ein Spiegelbild der Gesellschaft. Aber damit macht man es sich zu einfach. Verdienten es die Ideale des Sports wie Fair Play und Teamgeist doch heute mehr denn je, Vorbild für andere Bereiche des Lebens zu sein. Werden sie so schmählich verraten wie derzeit vom Profifußball, zeigt dies auch Wirkung außerhalb des Sports. Und das kann niemandem gefallen.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Reinhard Schüssler)