Berliner Morgenpost: Die CDU - diszipliniert, aber ohne Impulse
Archivmeldung vom 02.12.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDa mag das Grummeln und Murren über den Führungsstil von Angela Merkel noch so groß sein - sie ist und bleibt die Alleinherrscherin der Partei. Die Delegierten in Stuttgart haben vor dem Superwahljahr 2009 angesichts der eher gedämpften Stimmungslage auch innerhalb der CDU erstaunlich diszipliniert abgestimmt.
Und politisch klug zugleich. Gilt es doch vor einem Jahr mit fünf Landtagswahlen, einer Europawahl und als Höhepunkt der Bundestagswahl Geschlossenheit zu demonstrieren. Angela Merkel ist und bleibt zumindest bis zum 27. September die unbestrittene Nummer Eins in der CDU. Zwar wurden auch ihre vier Stellvertreter mit sehr guten Ergebnissen wieder gewählt. Doch der Abstand zwischen der Kanzlerin und Roland Koch mit dem besten Ergebnis der potenziellen Kronprinzen ist deutlich. Das grandiose Ergebnis für Angela Merkel darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ihre Partei fast im Alleingang führt, dass fast alle Verantwortung allein auf ihr lastet. Sie hat es nicht anders gewollt. Sie geht mit diesem Führungsstil allerdings ein hohes Risiko ein. Enden die Wahlen im kommenden Jahr, insbesondere natürlich die Bundestagswahl, nicht so, wie es die Partei erwartet, werden sich Enttäuschung und Unmut Bahn brechen. Auch dann steht Angela Merkel allein da. Dass die Beziehung zwischen ihr und der Partei eine eher rationale bis kühle ist, bestätigt dieser Bundesparteitag einmal mehr. Angela Merkels Rede weckte kaum Emotionen, der Beifall der Delegierten am Ende währte lang, Jubelstimmung vernimmt sich allerdings anders. Zugegeben, zu Begeisterungsstürmen gibt es angesichts von Weltfinanz- und Wirtschafskrise wenig Anlass. Doch ein bisschen mehr Aufmunterung für die kommenden Wahlkämpfe und mehr Glaubwürdigkeit für das Versprechen, nach 2009 die Steuern zu senken und die Mitte der Gesellschaft dann auch tatsächlich zu stärken, wünschten sich gestern viele Delegierte; die Basis schon lange. Welches Signal von Stuttgart hätte ausgehen und die Partei neu motivieren können, deutete Angela Merkels Nicht-mehr-Parteifreund Friedrich Merz an: Schon im nächsten Jahr eine Korrektur des Steuertarifs, damit Lohn- und Gehaltssteigerungen nicht gleich wieder vom Staat als steuerpolitischem Trittbrettfahrer aufgefressen werden, bevor in der nächsten Legislaturperiode die große Steuerreform kommt. Merz sprach damit vielen aus der Seele. Die Kanzlerin dagegen will nicht vorschnell ihr Pulver verschießen. Allerdings schließt auch sie nicht mehr aus, steuerpolitisch Leine zu lassen, wenn eine erlahmende Binnenkonjunktur das nötig macht. Aber wäre frühes Handeln nicht wirkungsvoller und vor allem glaubwürdiger als abzuwarten, bis die Konsumenten kein Geld mehr zum Konsumieren haben? Das Abwarten der Kanzlerin ist riskant. Handelt sie zu spät, zweifeln die Bürger endgültig an ihrem Versprechen, irgendwann die Steuern zu senken. Ihr gehortetes Pulver für den alles entscheidenden Wahlkampf im September wäre nass.
Quelle: Berliner Morgenpost