Leipziger Volkszeitung zum 1. Mai und Hartz IV
Archivmeldung vom 02.05.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.05.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Nachricht ist zu schön, um sie politisch ungenutzt zu lassen. Klar, dass Arbeitsminister Franz Müntefering sich beeilt, um am Tag der Arbeit persönlich die Unterschreitung der Vier-Millionen-Arbeitslosenmauer zu vermelden - auch wenn es ein kleiner Affront gegen die eigentlich zuständige Behörde ist.
Da verwundert es auch nicht, dass der Vizekanzler einen vermuteten
Erfolgsgrund gleich mitliefert - natürlich die rot-grünen Reformen.
Die Botschaft soll sein: Trotz aufgebrachter Montagsmarschierer und
anhaltendem Störfeuer aus dem Linkspartei-Schützengraben hat die SPD
Kurs gehalten. Selbst die Franzosen wollen ja nach ihrem
Sarko-Ségo-Wahlrausch ganz nüchtern Nachhilfeunterricht nehmen, wie
denn die Deutschen ihre Hausaufgaben gemacht haben.
So darf die koalitionsbedingt leidgeprüfte SPD wenigstens am 1. Mai
Wunden lecken und sich an Münteferings Gute-Laune-Wetterbericht
wärmen: Nix Merkel-Aufschwung - der Franz, der kann's. Doch damit
endet schon der beschwingte Tanz in den Mai. Denn die jetzt
bejubelten Arbeitsmarktreformen kennen eine hässliche Kehrseite - sie
sind hart aber hartzig. Wie lästige Fliegen klebt an den
Hartz-Gesetzen die rasante Ausbreitung von Zeitarbeit und Minijobs
samt ihrem wenig erklecklichen Lohnniveau. In der SPD will man nun im
neuen Schulterschluss mit den Gewerkschaften den Feuerlöscher
Mindestlohn einsetzen - um den drohenden Flächenbrand zumindest
einzudämmen.
Denn bei aller Freude über sinkende Arbeitslosenzahlen: Der
Aufschwung fährt längst mehrgleisig. Während die Gewerkschaften im
Tarifpoker den üblichen kräftigen Schluck aus der Lohnpulle
verlangen, hangeln sich immer mehr Leiharbeiter von einem schlecht
bezahlten und schnell kündbaren Halbjahres-Job zum nächsten. Dass
viele Zeitarbeiter die Stellen ihrer festangestellten Kollegen
sichern, ist dabei die ironische Fußnote der gespaltenen Arbeitswelt.
Und wer ganz außen vor ist, merkt ohnehin nichts von der Konjunktur.
Im Gegenteil: Der nächste Ruf nach neuen Kürzungen bei Hartz IV kommt
so sicher wie der nächste 1. Mai.
Trotzdem ist bei den anstehenden politischen Löscharbeiten Augenmaß
notwendig. Ein zu hoher flächendeckender Mindestlohn vernichtet Jobs
gerade da, wo sie am nötigsten sind: Bei den Geringqualifizierten.
Eine zu niedrige Vorgabe zementiert dagegen die staatliche Wohlfahrt
in vielen Branchen und ist daher unnütz. Deshalb hilft der gestrige
Schlachtenlärm der eifrigsten Mindestlohn-Vorkämpfer kaum weiter. "Du
hast mehr verdient" ist zwar ein schöner 1.-Mai-Spruch des DGB. Er
kann aber auch für die Gewerkschaften gelten - deren Klientel im
schnelllebigen Arbeitsmarkt mehr verdient hat als den eitlen
Konfrontationskurs ihrer Altvorderen und deren ewig gleiche Rufe nach
dem Vollkasko-Staat.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung