Westdeutsche Zeitung: Jugendkriminalität
Archivmeldung vom 09.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs war im Sommer 2000, als in Hamburg ein Kampfhund den sechsjährigen Volkan zu Tode biss und eine erbitterte Debatte um Kampfhunde-Verordnungen auslöste. In der Folge verging kein Tag in Deutschland, an dem nicht irgendwelche Kampfhund-Attacken gemeldet wurden - so als hätte es die früher nie gegeben. In Wahrheit hatte sich nur die Wahrnehmung verändert.
Nach einem Schlüsselereignis, hier der Tod des Jungen in Hamburg, stieg die Sensibilität für ähnlich gelagerte Fälle, auch wenn sie vom Ergebnis her harmloser ausfielen. Ähnliches ist nun in Sachen S- und U-Bahn-Attacken zu beobachten. "Die Serie brutaler Überfälle von Jugendlichen reißt nicht ab", beginnt eine Nachricht, die gestern über die Ticker der Deutschen Presseagentur lief. Diesmal ging es um vier Teenager, die in einem Berliner S-Bahnhof randaliert und einen Mann, der sie daran hindern wollte, zusammengeschlagen hatten. Er konnte blutend entkommen. Natürlich ist jede Gewalttat eine zuviel. Aber die "Serie brutaler Überfälle" ist doch zuerst eine (Achtung: Selbstkritik!) mediale Konstruktion. Sie fällt diesmal auf besonders fruchtbaren Boden, weil die ohnehin hochkochenden Emotionen in der Bevölkerung von wahlkämpfenden Politikern ebenso geschickt wie skrupellos geschürt werden. Bei genauer Betrachtung entpuppen sich deren Forderungen als im Wortsinne billige Effekthascherei. Wer glaubt ernsthaft, dass die U-Bahn-Schläger von München nicht auf den Rentner eingedroschen hätten, wenn sie mit ein paar Jahren mehr Haft hätten rechnen müssen? Mit Sicherheit wäre eine Polizeistreife vor Ort hilfreicher gewesen. Aber wenn die Zahl der Polizeistellen - wie in Hessen - gekürzt wird, ist das schlecht möglich. Mehr Polizisten, mehr Staatsanwälte und Richter würden zu einer schnelleren und wirksameren Strafverfolgung und damit Abschreckung führen. Dazu muss kein Paragraf geändert werden. Dazu muss "nur" bestehendes Recht konsequenter angewandt werden. Doch das kostet Geld. Und das weiß nicht zuletzt der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Der hat zuletzt systematisch weniger davon für seine Justiz ausgegeben - und damit zur angeblichen "Serie brutaler Überfälle" seinen brutalstmöglichen Beitrag geleistet.
Quelle: Westdeutsche Zeitung