Börsen-Zeitung: Politik der kleinen Schritte
Archivmeldung vom 17.09.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.09.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Hängepartie geht weiter: Auch auf dem Treffen der EU-Finanzminister (Ecofin) in Polen, an dem der amerikanische Schatzamtschef Timothy Geithner teilnimmt, gibt es keine tief greifenden neuen Maßnahmen oder gar Ansätze für einen großen Plan zur Lösung der europäischen Schuldenkrise. Und der große Bruder von jenseits des Atlantiks kann nur wenig mehr beisteuern als die Bemerkung, er sei davon überzeugt, dass Europa über die nötigen Kapazitäten zur Lösung der Krise verfüge.
Am Aktienmarkt hat es am Freitag, also am ersten Tag des Ecofin-Treffens, trotz der sehr überschaubaren Ergebnisse der Beratungen verhalten positive Reaktionen gegeben. Vielleicht schwingt darin ein wenig Erleichterung mit, dass es einem unbedarft agierenden Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler mit seiner Forderung nach einer Insolvenz Griechenlands nicht gelungen ist, einen Stein ins Rollen zu bringen.
So mancher Anleger, der sich beispielsweise mit Stirnrunzeln die Performance seines Aktienportfolios im laufenden Jahr ansieht, wird sich gleichwohl fragen, wann denn Europas Politiker endlich darangehen, die Schuldenkrise einer raschen und überzeugenden Lösung zuzuführen. Auf derartige Fragen gibt es leider nur eine auf den ersten Blick wenig befriedigende Antwort: Es kann kein solches "Grand Design" existieren, das die gegenwärtigen europäischen Probleme schnell löst. Und die Marktteilnehmer sollten froh sein, dass sich die europäischen Politiker nicht an einem solchen Plan versuchen.
Derzeit gibt es zwei Szenarien, die von ihren Befürwortern als mögliche Befreiungsschläge angesehen werden, frei nach dem Motto: "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende." Dies ist zum einen ein Staatsbankrott Griechenlands, zum anderen wäre es der Rauswurf des Landes aus der Eurozone, verbunden mit der Wiedereinführung der Drachme. Bei der Umsetzung beider Vorschläge dürfte jedoch das Ausmaß des ausgelösten Schreckens den Rahmen des für die Märkte Erträglichen bei weitem sprengen.
Gänzlich außer Kontrolle würde die Lage wohl bei einem Ausscheiden des südeuropäischen Landes aus der Währungsunion geraten. Eine neue Drachme würde zweifellos sofort abwerten, was kurz vor der Währungsumstellung einen Run der Griechen auf ihre Banken auslösen würde, da alle Bürger ihre Euros behalten wollen, um sie ins Ausland zu bringen. Der hoch verschuldete griechische Staat hätte weiterhin seine auf Euro lautenden Auslandsverbindlichkeiten zu bedienen, was ihm aber mit einer stark abwertenden Drachme nicht gelingen wird. Der Austritt aus der Eurozone würde also unweigerlich die Pleite des Landes nach sich ziehen - mit gravierenden Folgen für die europäischen Banken und die EZB, die von den Staaten der Eurozone zu rekapitalisieren wäre. Einen solchen doppelten Schock - der Anfang vom Ende des Euro und die erste Pleite eines EU-Mitglieds - würden die Märkte keinesfalls verkraften. Die Reaktionen an den Märkten würden voraussichtlich weit über das hinausgehen, was an Verwerfungen im Rahmen der Finanzkrise zu sehen war.
Aber auch die im Vergleich dazu vielleicht geringfügig sanfter ausfallende Rosskur eines Staatsbankrotts Griechenlands bei gleichzeitigem Verbleib des Landes in der Eurozone wäre sicherlich zu viel für die Märkte. Denn auch in diesem Fall würden viele europäische Großbanken wegen des erheblichen Haircut für die Halter griechischer Staatsanleihen erneut am Abgrund stehen. Es wären also wieder die Staaten gefragt, die die Banken mit umfangreichen Beträgen stützen müssten, was aber politisch kaum durchzusetzen wäre. Und in beiden Szenarien wäre auch mit einem verheerenden Dominoeffekt auf die anderen hoch verschuldeten Länder Irland, Portugal, Spanien und Italien zu rechnen.
Ein aus Marktsicht realistischer Ansatz zur Lösung der Krise sieht anders aus: In einer Politik kleiner Schritte - wie sie derzeit zu beobachten ist - müssen sich Griechenland und die anderen Länder langsam aus dem Schlamassel herausarbeiten, was von den EU-Kernstaaten zu kontrollieren und von den europäischen Institutionen wie der EZB und den Rettungsschirmen EFSF/EFSM zu flankieren ist, um die Lage an den Märkten unter Kontrolle zu halten.
Da aber ernsthafte Fortschritte in Ländern wie Griechenland kaum vor 2012 sichtbar sein dürften, müssen sich die Märkte auf eine Hängepartie bis 2012 und eventuell sogar bis 2013 einstellen. Für Anleger bedeutet dies, dass sie 2011 beispielsweise als Aktienjahr bereits abhaken können. Dies ist aber immer noch besser als die Aussicht, im Inferno eines "Grand Design" alles zu verlieren.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots)