LVZ: In der Pflicht
Archivmeldung vom 09.02.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.02.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAngesichts leerer Kassen hat Turkmeniens Diktator Saparmurat Nijasow kurzerhand die Rente in seinem Land abgeschafft. Mehr noch: Ein Teil der bisher ausgereichten Bezüge muss sogar zurückgezahlt werden. Soweit ist es in Deutschland zum Glück noch nicht. Doch auch hierzulande würde sich kein Politiker mehr zu der Behauptung versteigen, die Rente sei sicher.
Das Bundeskabinett hat nun einen Gesetzesentwurf beschlossen, damit
die Altersbezüge nicht gekürzt werden müssen. So weit, so gut. Die
Rentenkassen leeren sich aber inzwischen weiter, weil der einzige
Grund, dass sie das nicht tun sollten, bisher lediglich die vage
Hoffnung auf eine wirtschaftliche Besserung irgendwann in der Zukunft
ist. Eine Kürzung der Rente, die eigentlich anstünde, gehört jedoch
zu den letzten Tabus, die sich die Politik in diesem Lande auferlegt
hat. Dabei ist jede Nullrunde ohne Inflationsausgleich de facto schon
ein Griff ins Portmonee.
So bleibt es weiter beim Um-den-heißen-Brei-herum-reden, wenn es um
Rentenkürzungen geht. Neuester Begriff aus diesem Vokabular ist die
Rente ab 67. Und die Eile, die die Koalition dabei an den Tag legt,
lässt ahnen, wie dramatisch die Situation wirklich ist. Immer mehr
Deutschen dämmert das, und Fondsgesellschaften freuen sich bereits
über den Boom der privaten Altersvorsorge.
Vor allem die Jüngeren werden nun die verfehlte Rentenpolitik und die
Folgen der demographischen Entwicklung der vergangenen Jahre bezahlen
müssen. Für höhere Beiträge winken ihnen am Ende eines längeren
Arbeitslebens niedrigere Erträge. Der eigentliche Skandal aber
besteht darin, dass sich bisher offenbar niemand in der Politik
ernsthaft Gedanken um die Folgen einer solchen Maßnahme macht. Wenn
schon jetzt fünf Millionen Jobs in diesem Lande fehlen, was soll erst
werden, wenn 20 Millionen Rentner länger arbeiten müssen? Viele
Betriebe stellen Arbeitnehmer über 50 gar nicht mehr ein. Die
Integration Älterer in den Arbeitsmarkt durch die Hartz-Gesetze ist
auf der ganzen Linie gescheitert. Das hat die Bundesregierung seit
einer von ihr in Auftrag gegebenen zehn Millionen Euro teuren Studie
schwarz auf weiß.
Wer also 30 oder 40 Jahre in diesem Lande malocht, dem kann noch
immer der Absturz auf Sozialhilfeniveau drohen. Ob eine
"Initiative50plus", wie sie jetzt geplant ist, dies tatsächlich
verhindert oder nur eine neue Sau ist, die durchs Dorf getrieben
wird, muss bei der Wirksamkeit bisheriger Maßnahmen voller Skepsis
beobachtet werden.
An der Rente mit 67 führt kein Weg vorbei. Ausnahmeregelungen ändern
daran nichts. Doch die Bundesregierung steht in der Pflicht, diesen
Prozess so zu begleiten, dass einem Menschen, der ein Leben lang
gearbeitet hat, ein Übergang zur Rente in Würde möglich wird.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung