Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Parteien im Wahlfieber
Archivmeldung vom 20.03.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit der Verabschiedung des Haushalts 2010 - Rekordschuldensumme von 80,2 Milliarden Euro inklusive - ist am Freitag eine bemerkenswerte politische Woche »würdig« zu Ende gegangen. Wie unter dem Brennglas wurden die Probleme der Regierungsparteien und der oppositionellen SPD sichtbar.
Während die Sozialdemokraten »zurück in die Zukunft« streben, wollten Union und FDP lange nirgendwo hin - jedenfalls nicht vor dem 9. Mai, dem Tag der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Dabei ist das Retro-Programm der SPD nur deshalb das kleinere Übel, weil es keine Chance hat, Wirklichkeit zu werden. Ungeniert versucht die Gabriel-SPD, ihre Situation 2010 zu verbessern, indem sie die eigene Agenda 2010 aufgibt. Frei nach dem Motto: Wenn wir die Arbeitslosen nicht angemessen fördern können, wollen wir sie zumindest ruhigstellen. Der Schulterschluss mit den Gewerkschaften wurde so bereits geschafft. Nun soll die Rückholaktion der an die Linke verlorenen Wähler folgen. Und was macht Schwarz-Gelb? Streitet (Westerwelle gegen alle), pöbelt (Kubicki gegen Dobrindt und umgekehrt) und geht auf Entenjagd. Letzteres ist neu, macht die Sache aber nicht besser. Am Ende ist es egal, ob an den Plänen zu einer vorgezogenen, »kleinen« Steuerreform etwas dran ist, oder ob Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer nur eine Zeitungsente zum Fliegen gebracht hat. Das vielstimmige Für und Wider und all die eiligen Dementis belegen vor allem eines: CDU, CSU und FDP plagt das schlechte Gewissen, dass man schon viel zu lange den Eindruck der Untätigkeit vermittelt hat. Mit diesem Abwarten, Zögern und Taktieren haben Union und FDP das Misstrauen ihrer Gegner um keinen Deut verringert, aber die eigenen Anhänger massiv enttäuscht. Nun, da Schwarz-Gelb ein Opfer seiner Strategie zu werden droht, kommt Torschlusspanik auf. Die Steuerreform könnte zum Schnellschuss verkommen. Die Wirkung beim Wähler bleibt höchst ungewiss, weil das Motiv zu offensichtlich ist. Sieben Wochen sind es noch bis zur NRW-Wahl. Momentan ist ihr Ausgang völlig offen - am 9. Mai kann fast alles passieren. Sicher aber ist: Der politische Zeitenlauf wird an diesem Tag nicht enden. Wenn Schwarz-Gelb in NRW verliert, wird Schwarz-Gelb trotzdem im Bund weiterregieren - und weiß Gott nicht die erste Koalition ohne Bundesratsmehrheit sein. Vielleicht sollten Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer bei ihrem sonntäglichen Spitzentreffen im Kanzleramt mal darüber sprechen und sich an die Arbeit machen. Am besten gleich am Montag früh. Das muss dem NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und seinem Vize Andreas Pinkwart nicht helfen. Mehr schaden als das peinliche Berliner Dauergezänk kann es ihnen - und der Republik - aber auch nicht.
Quelle: Westfalen-Blatt