Börsen-Zeitung: Qualität gefragt
Archivmeldung vom 01.12.2018
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Freigeschaltet durch André OttWird die US-Notenbank ihre Zinsschritte verlangsamen, wie der Markt nach der Rede von Fed-Präsident Jerome Powell vermutet? Wäre es so, müssten sich Investoren Sorgen machen, dass sich das weltweite Wachstum doch stärker abkühlt als gedacht - und die USA weniger stark wachsen. Andererseits würden weniger stark steigende Zinsen eine Entlastung für die Kapitalkosten von Unternehmen bedeuten. So oder so - beides birgt erhebliche Risiken.
Noch wissen wir nicht, welche Folgen aus der jahrelangen Null- und Niedrigzinspolitik für Vermögenswerte resultieren. Hinzu kommen die vielen politischen Unsicherheiten. Die Deutsche Bank erklärte gerade auf ihrem Kapitalmarktausblick für 2019, dass die Lage schon lange nicht mehr so unsicher gewesen sei wie heute.
"Die Niedrigzinsen halten viele nicht zukunftsfähige Unternehmen am Leben, die Kreditrisiken in den Bankbilanzen dürften unterschätzt werden. Davon geht auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in einer Untersuchung aus", sagt Stefan Rehder, Fondsmanager und Geschäftsführer der Münchner Value-Boutique Value Intelligence Advisors. Hinzu komme, dass die geldpolitischen Optionen sehr begrenzt seien: Europa gehe wohl mit einer Nullzinspolitik in die nächste Rezession, fügt Rehder an: "Eigentlich ein Szenario, dass man vermeiden wollte."
Solche Unsicherheiten eröffnen aber auch Anlagechancen. In diesem Jahr, das bisher über viele Assetklassen hinweg negative Erträge gebracht hat, erhielten Value-Investoren wieder etwas Aufwind. Zu ihnen gehört auch Rehder, der einen Fonds mit rund 130 Mill. Euro Volumen managt. In einem Umfeld, in dem die Nullzinspolitik zahlreiche Kreditblasen geschaffen habe, sollten früher oder später insbesondere Unternehmen mit herausragender Bilanzqualität besonders gefragt sein, sagt er.
Dazu gehöre etwa Alphabet, die Muttergesellschaft von Google, ein Unternehmen, das schuldenfrei sei, über eine hohe Liquidität verfüge und zudem "bei genauerer Betrachtung erstaunlich günstig bewertet sei". Auch Unternehmen aus Branchen, in denen es eine Konsolidierung gegeben habe, seien reizvoll - der frühere Head of Equities bei der BayernLB verweist auf das Beispiel von HeidelbergCement, die im Zementmarkt lokale Monopolstellungen besitze.
Value-Investoren sind bei der Bewertung von Technologietiteln jedoch gespalten. Rob Arnott von Research Affiliates meint, dass in FANG-Aktien (Facebook, Apple, Netflix und Google) nur nach dem "Greater-fool"-Prinzip investiert werde: Der marginale Käufer sei meistens nicht einer, der eine sorgfältige Analyse gemacht habe. Niemals sei es bisher in der Geschichte der Börse so gewesen, dass die größten Unternehmen nach Marktkapitalisierung aus einem einzigen Sektor stammen, sagte Arnott bereits im Mai.
Für Rehder ist klar, dass es zu einem umsichtigen Portfoliomanagement gehört, "sich nicht auf ein Szenario festzulegen, sondern mehrere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen". Dies gelte gerade auch mit Blick auf die aus seiner Sicht günstigen, da wachstumsstarken Online-Konzerne. "Kartellrechtliche Risiken sind da im Auge zu behalten." Deswegen setze sein Fonds auch nicht mit mehr als 3 Prozent auf eine einzelne Aktie, so seine Erklärung.
Unterschiedliche Einschätzungen gibt es im überschaubaren Kreis der Value-Anleger auch zu Bankaktien. Rehder hat sich - wie viele "qualitätsaffine Value-Investoren, die dem Vorbild von US-Legende Warren Buffett folgen", von europäischen Bankaktien fern gehalten, die "oberflächlich betrachtet nach Kurs-Buchwert- oder Kurs-Gewinn-Verhältnis teilweise sehr günstig aussehen". Damit ist er bisher gut gefahren. Auch im Jahresverlauf haben Value-Strategien, die auf niedrige Betas und höhere Bewertungen setzen, weniger stark verloren als jene, die im Stil des US-Investors Benjamin Graham niedrig bewertete, aber volatile Titel etwa aus dem Finanz-, Energie- und Versorger- oder Automobilsektor halten.
Gut möglich, dass nun eine doch noch länger lockere Geldpolitik bilanzschwächere Unternehmen stützt. Verlassen sollten sich Anleger nicht darauf. Nehmen konjunkturelle Abwärtsrisiken zu, sind wenig konjunktursensitive Geschäftsmodelle gefragt, die dank hohen Cash-Flows das eigene Wachstum vorantreiben können, ohne hohe Kredite aufzunehmen. Ein warnendes Beispiel in dieser Hinsicht ist etwa Bayer, lange auch als Value-Play gehandelt.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Dietegen Müller