Rheinische Post: Der Kanzler des Unsteten
Archivmeldung vom 19.10.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVon Helmut Schmidt, der von 1974 bis 1982 Regierungschef in Bonn war, und an dem Bundeskanzler Gerhard Schröder (1998 bis 2005) gerne Maß genommen hat, ist überliefert, dass er Stetigkeit für eine Kardinaltugend jeder Regierungspolitik hielt. Wenn das stimmt, hätte Schröder im Sinne seines Parteifreundes wenig tugendhaft regiert.
Er wird als Kanzler des Überraschungsmoments, ja des Coups in der Innen- und der Außenpolitik in die deutsche Nachkriegsgeschichte eingehen. Bei Schröder, der gestern die Entlassungsurkunde erhielt und nun
übergangsweise die Geschäfte führt, mochte man der Haltbarkeit gerade
gewonnener Erkenntnisse nicht trauen. Dass Schröder allzu viele
Prinzipien in der Spur hielten, wird niemand ernsthaft behaupten.
Was von dieser Kanzlerschaft übrig bleiben wird, ist eine verspätet
einsetzende Ernsthaftigkeit, mit der Schröder die Fettablagerungen
der deutschen Sozialsysteme abzutragen begann. Er kämpfte dafür mit
persönlichem Schneid und politischem Löwenmut. Außenpolitisch bewegte
sich Schröder in dem Rahmen, der einer Mittelmacht gesteckt ist. Man
wird es respektabel nennen, dass Schröder dem Irak-Feldherrn Bush die
Stirn bot. Dass Schröder das 2002 klobig und in seiner Paraderolle
als Wahlkämpfer tat, der sich antiamerikanische Stimmung zu Nutze
machte und sie noch verstärkte, gehört wiederum zum unsteten Stil des
scheidenden Kanzlers.
Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post