Börsen-Zeitung: Brief vom Finanzminister
Archivmeldung vom 16.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittStellen Sie sich vor, Sie erhalten plötzlich einen Brief vom Finanzminister. Dieser fordert Sie darin auf, doch mehr für die Konjunktur zu tun, indem Sie bitte schön mehr konsumieren mögen. Der Minister lässt seinen Worten auch Taten folgen, er hat nämlich einen Scheck über 1500 Euro beigelegt. 500 Euro für Sie, dieselbe Summe für Ihren Ehepartner und noch jeweils 250 Euro für Ihre beiden Kinder. Ein eher absurdes Szenario?
Würde jedenfalls Peer Steinbrück einen solchen Brief an die deutschen Steuerzahler versenden, zöge das aller Wahrscheinlichkeit seine sofortige Entfernung aus dem Amt nach sich.
In den USA können sich die privaten Haushalte jedoch genau auf einen solchen Brief vom US-Schatzamt freuen. Steuerzahler werden Anfang Mai vom Staat 600 Dollar erhalten, Kinder die Hälfte. Etwa 170 Mrd. Dollar schüttet die US-Regierung auf diese Weise als Konjunktur-Notprogramm aus. Wobei die beschriebene Form der Auskehrungen geschickt gewählt ist. Amerikaner haben bereits im Umfeld der Rezession von 2001 derartige Briefe erhalten, wobei sich gezeigt hat, dass viele Konsumenten noch am Tag des Eintreffens der Schecks mit denselben zum Einkaufen geeilt sind.
Es ist also davon auszugehen, dass das Notprogramm der US-Regierung, das dieser Tage Gesetzeskraft erlangt hat, ein durchaus effektives Mittel der Konjunkturankurbelung darstellt. Hinzu tritt die Erwartung weiterer Zinssenkungen durch die amerikanische Notenbank. Die Europäische Zentralbank hat sich immerhin von der starken Betonung der Inflationsgefahren verabschiedet und sich damit neutral positioniert.
Dementsprechend haben sich die Aktienmärkte in der vergangenen Woche etwas gefangen, und die Perspektive sieht nicht mehr ganz so düster aus, wie sie noch vor wenigen Wochen erschien. Zwar ist eine US-Rezession nach wie vor sehr wahrscheinlich, sie dürfte jedoch genau wie 2001 leicht ausfallen und von vergleichsweise kurzer Dauer sein. An Wall Street hat es daher keine neuen Kurseinbrüche gegeben. Der wichtigste Benchmark-Index S&P500 hat in den zurückliegenden fünf Handelstagen sein Niveau gehalten. Selbst neue schlechte Nachrichten über Subprime-Belastungen beim größten US-Versicherer American International Group wurden von den Anlegern weggesteckt, ohne dass es zu neuen Verlusten auf breiter Front gekommen wäre.
Europa dürfte zwar eine spürbare Abschwächung des Wirtschaftswachstums erfahren. Mit prognostizierten rund 1,5% wird sich die Eurozone 2008 aber deutlich oberhalb der Nulllinie halten. Auf Basis dieser Perspektive blieben dem Dax weitere Belastungen erspart - trotz des IKB-Desasters. Der Leitindex hat die Woche gegenüber vergangenem Freitag mit einem ganz leichten Plus von knapp 1% beendet.
Allerdings dürfte die Volatilität in den kommenden Wochen hoch blieben, denn nach wie vor bleibt eine Reihe gewichtiger Risiken bestehen. Die größte Gefahr für die Aktienmärkte geht derzeit von den nach wie vor zu optimistischen Analystenschätzungen für die Unternehmensgewinne im laufenden Jahr aus. An der Börse ist die konjunkturelle Lage, so wie sie sich jetzt darstellt, noch nicht hinreichend eingepreist. Erwartet wird für das Stoxx600-Universum derzeit noch ein Anstieg der Gewinne im laufenden Jahr um 10%. Goldman Sachs geht nach einer Top-Down-Analyse davon aus, dass ein Rückgang um 8% erfolgt. Die Bewertungsniveaus sehen derzeit zwar günstig aus, aber eben nur dann, wenn man die aktuellen Ergebnisprognosen für realistisch hält.
Immerhin verläuft die aktuelle Quartalssaison nach Berechnungen der Landesbank Baden-Württemberg auf Basis der zehn Dax-Werte, die ihre Zahlen bereits vorgelegt haben, bis jetzt besser als erwartet. Noch haben die Finanzmarktkrise und die konjunkturelle Abschwächung die Unternehmen nicht mit voller Härte getroffen.
Letztlich aber spielt, was die wesentlichen Einflussfaktoren des europäischen Aktienmarktes betrifft, die Musik in den USA. Gibt es neue Hiobsbotschaften in Sachen Subprime von jenseits des Atlantiks, könnten die Aktienmärkte erneut abtauchen.
Quelle: Börsen-Zeitung (von Dieter Kuckelkorn)