Leipziger Volkszeitung zum Kongo
Archivmeldung vom 29.07.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.07.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin altes kongolesisches Sprichwort lautet: Missachte keinen Fremden - man weiß nie, ob er nicht das Dorf retten wird. Doch wer vermag schon zu sagen, ob die Kongolesen all ihre Sprichworte selbst kennen und, ob sie diese dann auch stets zum Maßstab ihres Tuns erheben. In einem Land mit marodierenden Banden, grassierenden Seuchen und unbeschreiblichem Elend hat man ganz andere Sorgen.
All das soll mit den ersten freien Wahlen an diesem Wochenende nun
anders werden. Da können die Erwartungen im Kongo, der bisher
keinerlei Erfahrungen mit der Demokratie gemacht hat, am Ende nur zu
hoch sein. Denn eine demokratische Wahl ist nur ein Anfang. Alles
Weitere gehört vorerst ins Reich der Utopie. Das wird zu
Enttäuschungen führen, am Ende womöglich auch zu Revolten.
Vor diesem Hintergrund aber ist der Einsatz der internationalen
Schutztruppe im allgemeinen und jener der 780 Bundeswehrsoldaten im
besonderen ein unkalkulierbares Risiko und damit ein nicht zu
verantwortendes Abenteuer. Der Erfolg der Mission hängt nicht von den
Akteuren, sondern von glücklichen Umständen ab. In einem
Einsatzgebiet, das sechs Mal so groß wie Deutschland ist und nahezu
keine Infrastruktur hat, bedarf es schon einer gehörigen Portion
Fortune, damit diese Wahlen und die Regierungsbildung danach
friedlich verlaufen. Fehlt sie, wäre ein Massaker wie jenes im Jahre
2003 von den Blauhelmen erneut nicht zu verhindern.
Zu den ungünstigen Vorzeichen zählt auch, dass viele Kongolesen
mutmaßen, es gehe letztlich um Bodenschätze und Einflusssphären, wenn
die Uno für einen derartigen Einsatz 400 Millionen Dollar locker
macht. Das könnte zu einem bekannten Dilemma führen:Die
Staatengemeinschaft will in einem Land helfen, wo die Mehrheit der
Bevölkerung diese Hilfe gar nicht wünscht.
All diese Unwägbarkeiten haben den Bundestag jedoch nicht davon
abgehalten, den Einsatz zu beschließen. Nun heißt es:Augen zu und
durch! Ob allen bis in letzter Konsequenz klar ist, dass hier
leichtfertig Menschenleben riskiert werden, darf bezweifelt werden.
Deutschland, dass nicht zuletzt wegen der kolonialen Vergangenheit
seines im Kongo ungeliebten Partners Frankreich an vorderster Front
marschiert, hofft auf stärkeres internationales Renommee. Noch aber
ist diese Rechnung nicht aufgegangen. Ihre Lösung wird für Kanzlerin
Merkel die erste ernsthafte außenpolitische Bewährungsprobe. Nur mit
ein wenig Charme wie auf dem G-8-Gipfel ist ein Konflikt im Kongo
nicht zu lösen.
Scheitert jedoch die Mission, zöge dies auch handfesten
innenpolitischen Krach nach sich. Noch wird nämlich schöngeredet,
dass die Truppe auf derartige Unternehmungen gar nicht vorbereitet
ist. Neue, milliardenschwere Eurofighter nutzen im Dschungel wenig,
wo es statt dessen auf geeignetes Schuhwerk und Nachtsichtgläser
ankommt. So lange aber nichts passiert, geht der Poker um die
Bundeswehr und um neue Einsätze munter weiter.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung