WAZ: Nokia-Krise - Die Grenzen der Solidarität
Archivmeldung vom 31.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSo schnell stößt Solidarität in einer Welt ohne Grenzen an ihre Grenzen. Da hilft auch eine noch so große Empörung über die Gewinne von 90 000 Euro je Mitarbeiter nicht weiter, die die Nokianer in Bochum für den finnischen Konzern erarbeitet haben.
Die Spielregeln der globalen Ökonomie fallen deutlich zu Gunsten
des Kapitals und zu Lasten der Arbeitnehmer aus. Eine Fabrik für eine
vergleichsweise einfache Fertigung kann heute fast überall auf der
Welt stehen, die Heimat der Arbeitnehmer aber bleibt, wo sie ist.
Wenn es um den eigenen Arbeitsplatz geht, das eigene Auskommen, ist
auch den Gewerkschaftern das Hemd näher als der Rock. Wer wollte das
den Finnen verübeln?
Wie soll eine internationale Solidarität aussehen, wenn ein
weltweiter Konzern via Kostenrechnung auf den Punkt genau die Rendite
der einen Fabrik gegen die der anderen stellt, wie das vor drei
Jahren auch Opel schmerzlich zu spüren bekam?
Es gibt keine einfachen Antworten auf die Folgen der
Globalisierung, da hat Kardinal Lehmann Recht. Gewiss, der Wegfall
der Grenzen in Europa führt zu einem enorm wachsenden Wettbewerb und
Kostendruck unter den Unternehmen. Nun ist aber das Europa ohne
Grenzen auch gelebte Friedenspolitik. Wer miteinander handelt, wer
eine gemeinsame Währung hat, der schießt nicht aufeinander. Das war
immer der Antrieb für die Politik des Europäers Helmut Kohl.
Und dann ist da noch die nicht weniger komplizierte Antwort auf
die Frage nach der Gerechtigkeit: Das Schicksal der Nokianer in
Bochum ist eine Chance für Rumänien. Wer wollte Arbeitnehmern aus
China, Indien oder Rumänien das Recht absprechen, am weltweiten
Wohlstandswachstum Teil zu haben? "Keiner, aber bitte nicht zu
unseren Lasten" - das ist gemeinhin die Antwort, die freilich keine
ist. Eben weil die Grenzen fehlen.
Was ist also zu tun? Klar ist, dass die Politik die nationale
Subventionitis bekämpfen muss. Sie verzerrt den Wettbewerb. Zugleich
muss sie die Zusammenhänge erklären. Dazu gehört auch, dass gerade
Deutschland als Exportnation vom wachsenden Wohlstand der Polen oder
Rumänen profitiert. Mittelfristig schafft das Arbeit in Deutschland.
Nokia muss für die Exekution ihres kalt-kapitalistischen Kalküls
bezahlen. Das ist gut so. Das Handy wegzuwerfen, mag gut gemeint
sein. Eine Antwort auf die drängenden Fragen ist das nicht.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Thomas Wels)